Im Geschäftsjahr 2020/2021 haben Sie insbesondere durch die Folgen der Coronamassnahmen rund 34 Millionen Franken EBITDA eingebüsst. Bekommen Sie das Geld von den Kantonen zurück?
Daniel Liedtke: Es stimmt, dass wir durch die Covid-19-bedingten Ertragsausfälle und Mehraufwendungen im Vergleich zum Vorjahr Einbussen im Ergebnis hinnehmen mussten. Unsere EBITDA-Marge liegt allerdings bei immer noch robusten 15 Prozent, was im nationalen Vergleich ein Spitzenwert ist. In der Tat haben wir uns dafür eingesetzt, dass uns die Kantone unsere Vorhalteleistungen während der Pandemie erstatten, also etwa speziell bereitgestellte Intensivbetten und Pflegepersonal oder pandemiespezifische Leistungen in Zusammenarbeit mit den öffentlichen Spitälern und den Kantonen.
Wie hoch waren die Erstattungen bisher?
Insgesamt haben wir im letzten Geschäftsjahr rund 12,6 Millionen Franken erhalten.
Und die Ertragsausfälle?
Wir sind der Meinung, dass dies die Politik und die Behörden zu entscheiden haben. Schliesslich hatten nicht nur Spitäler Ertragsausfälle, sondern auch viele andere Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen. Hier wollen wir keine Bevorzugung.
Können Sie die ausgefallenen Operationen aufholen?
Das ist fast nicht möglich, da wir immer gut ausgelastet sind. Lediglich diesen Sommer konnten wir etwas aufholen. Aber es gibt nach wie vor pandemiebedingte Wartelisten für Eingriffe, die ein Intensivbett benötigen. Und wir können vor dem Hintergrund der durchgängigen Personalknappheit auch nicht einfach die Anzahl der Operationen beliebig erhöhen.
Das heisst, Sie laufen aktuell wieder mehr oder weniger auf Niveau der Vor-Pandemie-Zeit?
Bis auf die intensive Phase des Lockdowns mit dem Verbot von Wahleingriffen im vergangenen Jahr, war unsere Auslastung immer relativ hoch. Für Aussagen bezüglich der wirtschaftlichen Situation dieses Geschäftsjahres ist es aber noch zu früh. Das wird sehr stark davon abhängen, wie sich die Situation auf den Intensivstationen entwickelt.
Wie ist der Trend zurzeit?
Leider stellen wir fest, dass sich nach den Sommerferien die Intensivbetten wieder sehr schnell mit Covid-Patienten gefüllt haben. Ich sage es deshalb immer wieder: Impfen, impfen, impfen! Die Covid-Patienten, die wir aufnehmen, sind fast ausnahmslos nicht geimpft.
Auch beim medizinischen und pflegerischen Personal gibt es immer noch viele Menschen, die eine Impfung ablehnen. Wie ist die Situation bei Hirslanden?
Wir setzen intensiv auf umfassende Aufklärung und gehen als aktive Vorbilder voran: Es geht nicht nur um den Einzelnen, es geht um die Gesellschaft und darum, wie wir unsere Freiheiten so schnell wie möglich zurück zu erlangen. In manchen unserer Kliniken liegt die Impfquote bei deutlich über 80 Prozent und im Durchschnitt bei über 70 Prozent.
Wie können Sie die Mitarbeitenden noch stärker motivieren?
Indem wir kontinuierlich aufklären, ein konkretes Impfziel und gezielt positive sowie negative Anreize setzen. Zum Beispiel ermöglichen wir die Impfung während der Arbeitszeit, verlangen aber auch ein Zertifikat bei internen gesellschaftlichen Veranstaltungen. Wir wissen, dass Geimpfte nur sehr selten eine intensivmedizinische Behandlung benötigen. Daher wollen wir mit unseren Impfzentren eine generelle Impfquote von ca. 80 Prozent erreichen: Ab dieser Quote sind Restriktionen aufgrund einer drohenden Spitalüberlastung nicht mehr notwendig.
Sie haben sehr schnell überall in der Schweiz umfangreiche Testkapazitäten geschaffen und betreiben im grossen Stil Impfzentren. Ist das ein gutes Geschäft?
Wir verfolgen damit konsequent unsere Unternehmensstrategie und machen mit dem Testen zumindest keine Verluste. Es ist vor allem ein Gewinn für die Gesellschaft und entspricht unserer Grundüberzeugung, einen Mehrwert für die Lebensqualität des Einzelnen und für die Gesellschaft zu schaffen. Diesen Beitrag erbringen wir mit einem enormen Kraftakt, den wir beim Aufbau und Betrieb von Impfzentren und der schweizweiten Plattform «Together We Test» zusätzlich zu unserem regulären Spitalbetrieb leisten.
Wie passen die Impfzentren in Ihre Unternehmensstrategie?
Als ich vor drei Jahren meine Arbeit als CEO begonnen habe, hatten wir uns gemeinsam vorgenommen, dass wir den bereits erwähnten Grundsatz verfolgen wollen, einen Mehrwert für die Lebensqualität des Einzelnen sowie der Gesellschaft zu schaffen. Dieser Grundsatz basiert auf drei Säulen: Erstens sehen wir es als unsere Aufgabe an, den Patient/innen und Kunden von der Geburt bis ins Alter sowie von der Prävention bis zur Heilung ein medizinisches Rundum-Paket («Continuum of Care») anzubieten: jederzeit und überall, physisch und digital. Zweitens haben wir entschieden, mit Ausnahme unserer Kernkompetenz – der spezialisierten Akutmedizin –, dieses «Continuum of Care» in Kooperation mit den besten verfügbaren Partnern anzubieten. Und drittens wollen wir gemeinsam mit diesen Partnern und den Krankenversicherern neue Produkte im Bereich Innovation, medizinische Qualität sowie Services für den ambulanten und stationären Zusatzversicherungsbereich schaffen.
Wie hat sich die Strategie während der Pandemie bewährt? Ohne diese strategische Ausrichtung hätten wir die Pandemie längst nicht so innovativ und agil angehen können. Impfen ist die allerbeste Prävention und damit der Ausweg aus dieser Krise. Diagnostik, also das Testen, gehört ohnehin zu unserer Kernkompetenz, und ist ebenfalls ein unabdingbares Instrument für die Bewältigung der Pandemie. Gleichzeitig haben wir mit der Hirslanden-Healthline und der Hirslanden-App wichtige Leistungen auf digitale Weise anbieten können, wenn physische Vor-Ort-Arztbesuche und Veranstaltungen nur unter erschwerten Bedingungen möglich waren. Es sind sogar ganz neue Leistungen wie beispielsweise die Chat-Funktion unserer App entstanden. Damit können Nutzer digital und komfortabel von überall aus kinderärztliche Beratung oder Schwangerschaftsbetreuung beziehen. Insgesamt darf man zu Recht sagen, dass Covid-19 unsere eingeschlagene Strategie sogar beschleunigt hat.
Das Gesundheitssystem ist im Umbruch. Es gibt grossen Nachholbedarf bei der Digitalisierung, die Behandlungen verschieben sich von stationär auf ambulant, es gibt ein Kostenproblem, und gleichzeitig tobt der Tarifkrieg zwischen Verbänden, Spitälern, Kassen und Kantonen. Wie positionieren Sie sich in diesem unruhigen Wasser?
Die zentralste aller Fragen lautet: Was können und wollen wir uns als Gesellschaft für eine Gesundheitsversorgung im Bereich der obligatorischen Krankenversicherung (OKP) leisten? Seit mehreren Jahren entfernt sich die OKP von der Grundidee einer qualitativ guten, aber kollektiv bezahlbaren Medizin hin zu einem umfassenden Wunschpaket. Sprich: Wir als Gesellschaft wünschen von den Spitälern, den Pflegenden, Therapeuten und Ärzten immer und jederzeit sofortigen Zugang und unlimitierte Leistungen. Dass dieser weltweit einzigartige Anspruch auch bezahlt werden muss, und nicht auf dem Rücken der Leistungserbringer belassen werden darf, ist selbsterklärend.
Welche weiteren Herausforderungen sehen Sie?
Der akute Mangel an Pflege- und insbesondere Spezialpflegekräften in den Schweizer Spitälern unterstreicht dieses gesellschaftliche Dilemma zwischen gesellschaftlichem Anspruch und den noch tragbaren Kosten. Im Spitalsektor führt dies in Kombination mit der Mehrfachrolle der Kantone als Regulator, Finanzierer und Betreiber von Spitälern zu einer Intransparenz der Geldflüsse, multiplen Interessenskonflikten und zu gegenseitigen Schuldzuweisungen. Wir müssen generell die vielfachen Fehlanreize reduzieren und insbesondere im Bereich des obligatorischen Krankenversicherungsangebotes die richtige Balance zwischen gesellschaftlichem Anspruch und tragbaren Kosten finden.
Welche Lösungsansätze sehen Sie?
Es wäre vermessen zu behaupten, wir hätten DAS Rezept, um all die Fehlanreize und Interessenskonflikte im Gesundheitssystem zu lösen. Wir positionieren uns als der Partner der Wahl, wenn es um die persönliche Gesundheit und das gesundheitliche Wohlergehen der Gesellschaft geht. Gute Beispiele dafür sind unsere Impfzentren oder unsere mittlerweile national etablierte Testplattform. Aber natürlich auch die rund 1650 behandelten Covid-Erkrankten in unseren Kliniken. Dabei gilt grundsätzlich: Was zu Hause betreut werden kann, soll beispielsweise mit digitaler Unterstützung zu Hause erfolgen – und nicht im Spital oder in Praxen. Das beinhaltet auch, dass mehr und mehr Leistungen zukünftig ambulant erbracht werden. Diese Kombination von digitalem und physischem Angebot wird zwischen den Partnern in unserem orchestrierten Ökosystem immer besser abgestimmt. Dadurch können Doppelbehandlungen und unnötige Leistungen reduziert werden, und eine wohnortsnahe physische medizinische Versorgung ist trotzdem jederzeit garantiert.
Können Sie ein konkretes digitales Beispiel aus Ihrer Gruppe nennen?
Die Nutzer unserer Hirslanden-App können seit Kurzem auch pädiatrische Fragen mittels Chatfunktion an ein Team von Kinderärztinnen und Kinderärzten rund um die Uhr stellen. Auch wenn wir selbst keine Kinderkliniken betreiben, können wir diese Lücke nun digital mit unserem Partner Swiss Medi Kids schliessen. Ich habe selbst noch Kleinkinder und nutze diesen Service: Im Vergleich zu früher müssen wir mit unserer Kleinsten jetzt weniger häufig die Praxis unserer Kinderärztin aufsuchen.
Werden Sie diese digitalen Angebote weiter ausbauen?
Ja, wir bauen diese digitalen Kundenpfade («Customer Journeys») für die häufigsten medizinischen Krankheiten weiter aus, wobei unsere Kernkompetenz weiterhin die spezialisierte Beratung, die Diagnostik und Medizin ist. Gemeinsam mit ausgewählten Partnern orchestrieren wir in diesem Ökosystem den Lebensweg eines Menschen – von der Geburt bis ins Alter sowie von der Prävention bis zur Heilung. Man könnte es auch ein medizinisches Rundum-Paket nennen. Das verbindende Element dabei ist der digitale Pfad beziehungsweise die digitale Vernetzung. Die Digitalisierung wird also noch wichtiger werden! Gleichzeitig werden wir die physische Versorgung auch weiterhin in grossem Umfang benötigen. Die Kunst besteht darin, beides sinnvoll zu ergänzen.