Zulassungsregeln für Ärzte – Kritik am neuen Artikel 37 KVG

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Die neuen verschärften Bestimmungen des KVG über die Zulassung von Ärztinnen und Ärzten steht in Widerspruch zu bestehenden Regelungen, beispielsweise zum Freizügigkeitsabkommen oder zur Weiterbildungsordnung (WBO).

Am 1. Januar 2022 sind die neuen Bestimmungen des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) über die Zulassung von Leistungserbringern im ambulanten Bereich in Kraft getreten. Mit der Gesetzesänderung wurden die Anforderungen an Leistungserbringer, die zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) tätig sind, verschärft. Dadurch sollten Qualität und Wirtschaftlichkeit der von ihnen erbrachten Leistungen gesteigert werden. Zudem haben die Kantone neu die Möglichkeit, die Versorgung gemäss ihrem Bedarf selbst zu regulieren und Höchstzahlen festzulegen.

Der neue Artikel 37 KVG nennt in Absatz 1 verschiedene Voraussetzungen, die Ärztinnen und Ärzte erfüllen müssen, um zulasten der OKP tätig werden zu dürfen (Kassenzulassung). Neben dem Nachweis der in ihrer Tätigkeitsregion notwendigen Sprachkompetenz müssen sie «mindestens drei Jahre im beantragten Fachgebiet an einer anerkannten schweizerischen Weiterbildungsstätte gearbeitet haben». Auch Einrichtungen der ambulanten Krankenpflege im Sinne von Artikel 35 Absatz 2 Buchstabe n KVG (z.B. Gemeinschafts- bzw. Gruppenpraxen) werden nur zugelassen, wenn die dort tätigen Ärztinnen und Ärzte die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllen (Artikel 37 Absatz 2 KVG).

Spannungsverhältnis zur Weiterbildungsregelung
Die Bestimmung wirft nicht nur praktische Fragen auf, sondern ist auch in rechtlicher Hinsicht problematisch. Zunächst steht sie in einem Spannungsverhältnis zur Weiterbildungsordnung (WBO) des Schweizerischen Instituts für ärztliche Weiter- und Fortbildung (SIWF). Die WBO sieht vor, dass im Rahmen der Facharzttitelerteilung die Tätigkeit an gleichwertigen Weiterbildungsstätten im Ausland an die Weiterbildung angerechnet werden kann. Grundsätzlich sind zwei Jahre der fachspezifischen Weiterbildung in der Schweiz zu absolvieren (Artikel 33 Absatz 1 und 2 WBO).

Anders als die neue KVG-Bestimmung geht das SIWF somit davon aus, dass ein schweizerischer Facharzttitel auch an eine Person erteilt werden kann, die im entsprechenden Fachgebiet weniger als drei Jahre an einer schweizerischen Weiterbildungsstätte gearbeitet hat. Weshalb der Krankenversicherungsgesetzgeber dies anders beurteilt, ist unklar.

Widerspruch zum Freizügigkeitsabkommen
Gravierender als die erwähnte Inkongruenz mit der WBO erscheint die Tatsache, dass die neue Regelung im Widerspruch zum Freizügigkeitsabkommen (FZA) zwischen der Schweiz und der Europäischen Union steht. Das Medizinalberufegesetz (MedBG) sieht vor, dass ausländische Weiterbildungstitel anerkannt werden, wenn ihre Gleichwertigkeit in einem Vertrag über die gegenseitige Anerkennung mit dem betreffenden Staat vorgesehen ist und die Inhaberin oder der Inhaber eine Landessprache beherrscht.

Nach Anhang III des FZA findet die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen im Rahmen der von der Schweiz übernommenen EU-Richtlinie 2005/36/EG statt. Zuständig für die Anerkennung ist die Medizinalberufekommission (MEBEKO). Ärztinnen und Ärzte aus dem EU-Raum mit einem von der MEBEKO als gleichwertig anerkannten Weiterbildungstitel sind folglich grundsätzlich zur selbständigen Berufsausübung in der Schweiz zugelassen.

Wenn im Rahmen der Kassenzulassung nach Artikel 37 KVG nun zusätzlich verlangt wird, dass Ärztinnen und Ärzte mindestens drei Jahre im beantragten Fachgebiet an einer anerkannten schweizerischen Weiterbildungsstätte gearbeitet haben müssen, wirkt sich dies für Ärztinnen und Ärzte aus der EU diskriminierend aus, da sie die Voraussetzung in den meisten Fällen nicht erfüllen. Damit wird die staatsvertraglich vereinbarte Anerkennungsregelung faktisch ausgehebelt. Mehr noch: Die neue Bestimmung steht in direktem Widerspruch zu dem von der Schweiz übernommenen Art. 55 der Richtlinie 2005/36/ EG und dem Anhang K des EFTA-Übereinkommens. Danach werden Ärztinnen und Ärzte, die ihre Berufsqualifikationen in der EU/EFTA erworben haben, von allfälligen nationalen Vorgaben für eine Kassenzulassung (Absolvierung eines Vorbereitungslehrgangs und/oder Erwerb von Berufserfahrung) befreit, selbst wenn solche Voraussetzungen (auch) für Ärztinnen und Ärzte mit inländischen Berufsqualifikationen gelten.

Entgegen der vom BAG vertretenen Position lässt sich diese Einschränkung der Personenfreizügigkeit schwerlich mit der Sicherstellung der öffentlichen Gesundheit (Art. 5 Anhang I FZA) rechtfertigen. Es ist nicht nachvollziehbar, inwiefern Ärztinnen und Ärzte mit einem von der MEBEKO als gleichwertig anerkannten ausländischen Facharzttitel die öffentliche Gesundheit in der Schweiz gefährden sollen.

Unverhältnismässigkeit
Ungeachtet der fehlenden Staatsvertragskonformität erscheint die neue Bestimmung als unverhältnismässig. Zunächst ist nicht einzusehen, inwiefern die Anforderung, drei Jahre in einer schweizerischen Weiterbildungsstätte zu «arbeiten», die Qualität der Leistungserbringung steigern soll, zumal keine Weiterbildungsanforderungen damit verknüpft sind. Dass die Anforderung wenig zur Qualitätssicherung beitragen dürfte, zeigt sich auch daran, dass sie nur für ambulante Praxen, nicht aber für stationäre Leistungserbringer wie Spitäler (einschliesslich ihrer Ambulatorien) gilt. Kommt hinzu, dass die Qualitätssicherung auch auf andere beziehungsweise mildere Weise als mit einer erzwungenen, mehrjährigen Tätigkeit an einer anerkannten schweizerischen Weiterbildungsstätte erreicht werden kann.

So war im bundesrätlichen Gesetzesentwurf etwa noch vorgesehen, dass der Nachweis der für die Qualität der Leistungserbringung notwendigen Kenntnisse des schweizerischen Gesundheitssystems auch im Rahmen einer Prüfung erbracht werden kann. In der anschliessenden parlamentarischen Beratung wurde die Bestimmung im Sinne des Tätigkeitserfordernisses dann unnötig verschärft.

Soweit mit der zusätzlichen Zulassungsvoraussetzung eine Mengenbegrenzung beziehungsweise eine Kostenreduktion angestrebt wird, kann dieses Ziel bereits über die quantitative Zulassungsbeschränkung (Festlegung der Höchstzahlen) nach Art. 55a KVG erreicht werden.

Schlussfolgerung
Vor diesem Hintergrund ist zu fordern, dass Art. 37 Abs. 1 KVG staatsvertrags- und verfassungskonform ausgelegt und umgesetzt wird. Dies kann nur dadurch geschehen, dass die in der EU an einer als gleichwertig anerkannten Weiterbildungsstätte absolvierte Weiterbildung an die für die Kassenzulassung erforderliche dreijährige Tätigkeit an einer anerkannten schweizerischen Weiterbildungsstätte angerechnet wird. Wird die Kassenzulassung gestützt auf Art. 37 Abs. 1 KVG verweigert, kann sich eine gerichtliche Überprüfung anbieten, allenfalls mit anwaltlicher Unterstützung.

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