Nicht die Ärztin oder das Spital, sondern die Kasse muss dem Patienten eine Rechnungskopie schicken. Dann wird alles gut, findet
der Nationalrat. Wirklich?
Eine wichtige Voraussetzung für selbstverantwortliches Handeln ist Systemwissen. Rechnungen für medizinische Leistungen sind für Laien oft unverständlich. Besonders unverständlich sind Arzt- und Spitalrechnungen, die nach dem Ärztetarif Tarmed beziehungsweise nach dem Fallpauschalensystem SwissDRG erstellt werden. Doch selbst Patienten, die Arzt- und Spitalrechnungen lesen und verstehen, können ihre Selbstverantwortung nicht wahrnehmen, wenn sie weder eine Rechnung noch eine Rechnungskopie bekommen, weil die Rechnung gemäss «Tiers payant» direkt an die Krankenversicherung geht. Sie prüft die Rechnung, bezahlt sie und verlangt von der Patientin die Kostenbeteiligung (Franchise und Selbstbehalt).
Der Bundesrat schiebt die Verantwortung auf die Tarifpartner
Im KVG steht zwar, dass der Patient bei «Tiers payant» eine Rechnungskopie bekommen muss. Der Gesetzgeber hat aber wie so oft im KVG nicht bestimmt, was passiert, wenn der Arzt bzw. das Spital die gesetzliche Pflicht nicht erfüllt. Im Jahr 2015 verlangt der Aargauer BDP-Nationalrat Bernhard Guhl, dass Patienten Rechnungskopien bekommen, wie es das KVG verlangt. In seiner Antwort schiebt der Bundesrat die Verantwortung den Tarifpartnern (Kassen, Ärzte, Spitäler) zu. Diese schieben sich die Verantwortung gegenseitig zu und finden, dass diese Rechnungskopien sowieso mehr kosten als sie nützen.
Drei Jahre nach Nationalrat Guhl unterbreitete eine Expertengruppe dem Bundesrat 38 Sparvorschläge. Einer dieser Sparvorschläge sind die Rechnungskopien. OK, denke ich, jetzt wird der Bundesrat endlich dafür sorgen, dass die Patienten Rechnungskopien bekommen, wie es im KVG steht. Nein, nein, so einfach geht das nicht. Das Thema Rechnungskopien wird zusammen mit acht weiteren Massnahmen in einem ersten Sparpaket in eine Vernehmlassung geschickt und nun im Parlament beraten. Der Nationalrat hat nun die tolle Idee, dass nicht der Arzt bzw. das Spital der Patientin eine Rechnungskopie schicken muss, sondern die Krankenversicherung. Und die soll gebüsst werden, wenn sie das nicht tut, was Ärzte und Spitäler bisher nicht getan haben.
Mehr Eigenverantwortung mit unverständlichen Rechnungen geht nicht
Die zentrale Voraussetzung für mehr Eigenverantwortung der Patienten bei der Rechnungskontrolle ist aber damit noch immer nicht geschaffen. Erstens müssen die Rechnungen verständlich sein, damit die Patientin diese tatsächlich prüfen kann. Zweitens muss der Patient prüfen, ob die Leistungen, die auf der Rechnung stehen, tatsächlich erbracht worden sind und nicht etwas anderes. Die Krankenversicherung kann nämlich nur prüfen, ob das, was auf der Rechnung steht, tatsächlich versicherte Leistungen sind. Ohne Hilfe des Patienten kann die Kasse nicht herausfinden, ob die Leistungen, die auf der Rechnung stehen, auch tatsächlich erbracht worden sind.
Das Theater um die Rechnungskopien ist bloss Schattenboxen. Wenn Bundesrat und Parlament tatsächlich die Selbstverantwortung der Patienten bei der Leistungsprüfung stärken wollen, müssen sie das verbindlich ins KVG schreiben, was jeder Handwerker längst tut. Dieser macht zuerst eine Offerte. Dann erbringt er die Leistung. Der Kunde unterschreibt den Arbeitsrapport, wenn alles draufsteht, was der Handwerker gemacht hat. Dann kann der Kunde Offerte, Arbeitsrapport und Rechnung miteinander vergleichen und die Rechnung bezahlen, wenn alles OK ist.
Wenn ich das, was mit dem Handwerker bestens funktioniert, ohne Offerten auf die Dreiecksbeziehung Spital – Patient – Kasse im System «Tier payant» übertrage, heisst das: Der Patient bekommt beim Spitalaustritt ein Behandlungsprotokoll, wo alle erbrachten Leistungen verständlich aufgelistet sind, und unterschreibt dieses, wenn alles richtig ist. Über unverständliche Tarifsysteme und Rechnungen muss sich der Patient gar nicht ärgern. Die Kasse bekommt das unterzeichnete Behandlungsprotokoll und die Rechnung. So kann sie kontrollieren, ob a) nur Leistungen auf der Rechnung stehen, die auch erbracht worden sind, und ob b) diese Leistungen gemäss KVG auch versichert sind. Und wer im digitalen Zeitalter behauptet, das sei bürokratisch und teuer, sollte endlich ausserhalb des Gesundheitswesens praktische Erfahrungen sammeln.
Felix Schneuwly, Krankenkassenexperte beim Internet-Vergleichsdienst comparis.ch