Führung und die Übernahme von Führungsverantwortung werden zurzeit wieder vermehrt diskutiert. Doch was bedeutet «Führung» in diesen herausfordernden Zeiten? Was gilt es mit Blick auf zukünftige Generationen zu beachten? Welche Erfahrungen aus anderen Wirtschaftsbereichen können Anhaltspunkte für Themen wie «agile Führung», «Transformations- oder Talentmanagement im Gesundheitswesen» liefern? Wie weit lassen sich Erfahrungen aus dem Ausland von Gesundheitsinstitutionen auf die Schweiz übertragen? Und was meint eigentlich die junge Generation selbst dazu? Diesen Fragen ging der Best Practice Kongress 2024 von Medicongress nach. Unter der erfrischenden Moderation des Gesundheitsökonomen Willy Oggier standen in den Referaten und Diskussionsrunden Praxisbeispiele im Vordergrund, die zeigen, wie Führungskräfte im Gesundheitsbereich mit den Herausforderungen der modernen Medizin umgehen und gleichzeitig eine Kultur der psychologischen Sicherheit und des Vertrauens aufbauen.
Ressource Mitarbeitende
Die Arbeitspsychologin Ea Eller erinnert in ihrem Referat «Wichtigkeit der Ressource Mitarbeitende: Was machen andere?» an Ergebnisse einer Befragung über die gewünschten Eigenschaften der Arbeitgeber. Die drei wichtigsten Kriterien seien danach 1. Ein guter Chef/eine gute Chefin, 2. Grosszügigkeit und Toleranz gegenüber Mitarbeitenden und ein guter Lohn, so Eller. Ein Blick in andere Branchen zeige, was die Gewinnung und Haltung von Mitarbeitenden in einer Branche unterstützen kann: Nämlich eine attraktive Grundbildung, die neue Berufsbilder aufweist und Qualität fördert. Eine Branche oder Unternehmen, die Quereinstiege fördern und Teilzeit ermöglichen sowie die Weiterbildung als Hebel für Karriereoptionen ausweist. Darüber hinaus teilte Eller ihr Wissen zu wichtigen Themen, die Berufsausstiege verhindern: Dabei seien wichtig ein gutes Arbeitsklima und gute Arbeitsbedingungen bezüglich Teilzeit, Planbarkeit und Selbstbestimmung sowie eine gewisse Sinnhaftigkeit der Arbeit. Darüber hinaus seinen Arbeitgeber gefordert, ihren Mitarbeitenden individuelle Weiterbildungs- und Karriereoptionen aufzuzeigen.
Soziokratie als moderne Organisationsform
Kathrin Hillewerth, Co-Klinikleiterin im Spital Zollikerberg, berichtete in ihrem Referat unter dem Titel «Zusammenarbeit 2.0: Soziokratie im Akutspital – ein Erfahrungsbeispiel», wie die Umsetzung einer Soziokratie im Spital erlebt wird. Unter Soziokratie versteht man nach Strauch/Rejmer ein System von Managementinstrumenten, mit denen Organisationen effizient und effektiv arbeiten können. Der Begriff bedeutet «gemeinsam regieren» oder anders ausgedrückt: Eine Gemeinschaft von Verbündeten steuert sich selbst und bestimmt als Ganzes, ohne dabei Macht über Einzelne auszuüben. Ziel ist es dabei, den Mitarbeitenden mehr Mitsprache zu ermöglichen, die Ressourcen des gesamten Teams zu nutzen, Mitverantwortung zu fördern, klare Prozesse umzusetzen und eine Erhöhung der Attraktivität der Pflege im Zollikerbergspital zu erreichen. Entscheidungen werden im Konsentprinzip getroffen: Der Entscheidungsprozess wird durch die Moderatorin oder den Moderator geleitet Alle tragen zur Lösung bei, und es wird ein bewusstes Zuhören und Ausredenlassen praktiziert. Es gibt einen geordneten Kommunikationsablauf, es geht nicht um die perfekte, sondern optimal machbare Lösung auf der Basis der derzeitigen Kenntnisse und Ressourcen. Das Modell scheint anzukommen, berichtete Hillewerth und zitierte eine Kollegin: «Anfangs war es ungewohnt, dass ich als Pflegefachfrau das gleiche Mitspracherecht wie der Chefarzt oder meine Stationsleitung hatte. Mit der Zeit habe ich mich aber daran gewöhnt und freue mich jetzt jedes Mal darauf, mein Team im allgemeinen Kreis zu vertreten und wichtige Entscheidungen der Klinik beeinflussen zu können.»
Agiles Management
Gleich mehrere Referate beschäftigten sich mit dem Thema «Agile Führung». Beispielsweise erläuterte Stefan Grasberger, Head of Development Business Unit Diamond Systems bei Hilti, die Erfahrungen in dem erfolgreichen Weltkonzern. Kernelement bei Hilti ist der Fokus auf die Kunden, eine direkte Kommunikation und Zusammenarbeit, selbstorganisierte Teams, Vertrauen und motivierte Mitarbeitende. Eine langfristige Sicht sei in diesem System verbunden mit einer kurzfristigen Planung, die immer wieder mit sogenannten Sprints überprüft und justiert wird.
Andrea Rytz, Direktorin und CEO der Schulthess Klinik in Zürich, referierte unter dem Titel «Warum ist agiles Führen in der Experten-Organisation Spital so schwer?». Insbesondere nannte sie zwei Voraussetzungen, welche gegeben sein müssen, damit eine agile Führung funktioniert: Einen erheblichen Veränderungswillen von allen Beteiligten und selbstorganisierte Mitarbeitende. Und sie nannte auch die Hürden, die es schwierig machten, solch ein Modell im Alltag umzusetzen: Nämlich Mitarbeitende, die nicht zum System dazugehören wollen, sich nicht an neue Führungsformen adaptieren wollen, zur Selbstverliebtheit neigen und hohe Erwartungen lediglich an andere, aber nicht an sich selbst hätten.
Selbstorganisation der Spitex
Ein besonders interessantes Beispiel für eine moderne Organisation präsentierte Daniel Jürg, Co-Geschäftsleiter der Spitex Chur. Dort schuf man in den letzten Jahren autonome Teams, die sich praktisch selbst führen und nur bei Bedarf Coaches zur Unterstützung nutzen. Die Teams bestehen in der Regel aus rund zwölf Mitarbeitenden mit unterschiedlichen Rollen und Kompetenzen. Sie sind für ein bestimmtes Gebiet zuständig und dort für alle Kunden verantwortlich. Die Mitarbeitenden haben keine dauerhaften Führungsrollen, sondern die Rollen wechseln im Team. Sie entscheiden gemeinsam über Dienst- und Einsatzpläne und wählen sich selbst die Mitarbeitenden aus. Sie orientieren sich an wenigen, wichtigen Zielen wie beispielsweise die Auslastung und Kontinuität im Einsatz. Für Kunden und Zuweiser sind sie immer direkt erreichbar. Das Modell beruht auf dem erfolgreichen niederländischen Vorbild Buurtzorg.
Diese waren nur ein paar Beispiele aus der Vielzahl interessanter Beiträge. Eine in allen Belangen gelungene Veranstaltung, die nach Wiederholung ruft.