Rohköstler lehnen jegliche Speisen ab, die über 42 bis 47 Grad Celsius erhitzt wurden. Sie glauben zum einen, Enzyme, Mineralstoffe und hitzeempfindliche Vitamine gingen verloren, die Speisen seien «tot». Und zum andern, dass der menschliche Körper ungekochte Nahrung besser verwerte. Dem Faktencheck hält dies nicht stand: Es stimmt zwar, dass Hitze die meisten Enzyme inaktiviert. Aber Nahrungsenzyme spielen für die Verdauung keine Rolle – sie werden schon durch die Magensalzsäure inaktiviert. Und der Mensch produziert ohnehin selbst Enzyme. Dass Lebensmittel mit intakten Enzymen unabdingbar sind für die Ernährung und dass erhitzte Lebensmittel ungesund sind, ist beides ein Irrtum.
Rohkost hat allerdings Vorteile. Die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung SGE empfiehlt eine ausgewogene Mischkost mit Rohem und Gekochtem. Es gibt Inhaltsstoffe, welche durch Erhitzen abgebaut werden können, andere Nährstoffe wiederum werden aber erst durch Kochen verwertbar. Doch eine reine Rohkost-Diät, vor allem kombiniert mit einer veganen, ist riskant, wie jede extreme Ernährungsform.
Lycopin und Betacarotin werden erst durch Garen freigesetzt
Rohe frische Früchte und Gemüse enthalten einen hohen Anteil an Vitaminen, sekundären Pflanzenstoffen und anderen wichtigen Inhaltsstoffen, die teilweise beim Erhitzen verloren gehen können. Bei Obst gibt es zwar kaum einen Grund, es zu kochen, ausser zur Haltbarmachung. Aber schonendes Kochen von Gemüse schadet dem Gesundheitswert bei Weitem nicht so stark, wie Rohköstler dies behaupten. Ausserdem werden einige Nährstoffe durch Kochen besser oder überhaupt erst verfügbar. So ist das Eiweiss in rohen Eiern beispielsweise nur zu 50 Prozent nutzbar, gekocht aber zu 90 Prozent. Manche Vitalstoffe wie Lycopin in Tomaten oder Betacarotin in Karotten werden durch Garen verstärkt freigesetzt.
Mineralstoffe und Spurenelemente können durch starke Verarbeitung von Lebensmitteln tatsächlich Schaden nehmen. Allerdings gehört das Kochen nicht dazu, denn Mineralstoffe sind kaum hitzeempfindlich. Lediglich ausgelaugt werden sie, wenn beim Kochen viel Wasser verwendet und dieses weggegossen wird. Anders bei Vitaminen: ihre Hitzeempfindlichkeit variiert. Vitamin C ist das empfindlichste und es verliert seine Aktivität unter Hitze- ebenso wie unter Sauerstoff- oder Lichteinfluss. Vitamin B5 ist ebenfalls hitzeempfindlich. Beim Garen spielt aber nicht nur die Temperatur, sondern auch die Erhitzungszeit eine Rolle (besonders schädlich ist langes Warmhalten).
Unerwünschte Stoffe und Mikroben inaktivieren
Kochen beseitigt ferner antinutritive Stoffe: Getreide enthält Phytinsäure, die durch Kochen oder Backen teilweise abgebaut wird. Aus ähnlichen Gründen sind rohe Kartoff eln und einige Hülsenfrüchte unbekömmlich. Rohe (unverkleisterte) Kartoff elstärke ist unverdaulich. Proteine werden durch Hitze denaturiert, somit werden die proteinhaltigen Enzyme inaktiviert, aber auch die Struktur des Lebensmittels verändert sich. Beispielsweise baut Garen das zähe Kollagen in tierischem Bindegewebe zu Gelatine ab – Fleisch wird zarter.
Vor allem bei tierischen Lebensmitteln ist Garen mit Hitze ferner eine Methode, um pathogene Keime zu eliminieren, zwar nicht die einzige, aber die einfachste und wirksamste. Nicht zu vernachlässigen ist der Einfluss der Hitze auf die Aromabildung. Bei Milch, Früchten und Blatt salaten ist Kochgeschmack zwar unerwünscht, aber bei Kartoffeln, Getreideprodukten, vielen Gemüsearten, Fleisch(produkten) und vor allem Kaffee und Kakao stiftet nur Erhitzung die attraktiven Aromen, seien sie mild (Niedergaren von Fleisch) oder rabiat (Rösten von Kaffee). Maillard-, Caramel- und Röstaromen entstehen nur durch Hitze. Roher Kakao oder grüner Kaffee schmecken sehr unattraktiv und adstringierend.
Rohe Delikatessen
Handkehrum: Rohkostprodukte spielen in der Gastronomie nicht nur eine ernährungsphysiologische Rolle, sondern auch eine kulinarische – es gibt unter ihnen einige Delikatessen. Viele Gemüsesorten, v. a. Fruchtgemüse wie Avocados und Tomaten, aber auch Karott en oder Blumenkohl, schmecken roh gut und sind bekömmlich. Bei rohen tierischen Zutaten ist in der Caregastronomie aber oft Vorsicht geboten. Ein Beispiel sind Rohei-Produkte. Das St. Galler Kantonslabor mahnt, sie «ausreichend zu erhitzen, je nach Produkt auf 62 bis 72 Grad. Ist die 'gute Herstellpraxis' nicht gesichert, seien pasteurisierte Eiprodukte zu verwenden. Wegen Krankheitsrisiken dürfen Roheierspeisen in keinem Fall Betagten, Kranken, rekonvaleszenten oder immun-supprimierten Personen serviert werden».
Diese Vorsicht gilt auch bei riskanten pflanzlichen Komponenten falls ungenügend hygienisiert wie beispielsweise frische Sprossen und Keimlinge.