Wir treffen uns in einem Alters- und Pflegezentrum in der Stadt Zürich. Täglich werden dort im Restaurant rund 80 Bewohnende verpflegt. Dazu kommen 20 bis 30 externe Gäste. Die Bewohner der Alterswohnungen können frei wählen, wo sie ihre Mahlzeiten einnehmen möchten und von wo sie diese beziehen. In den letzten Jahren hat die Belieferung durch externe Mahlzeitendienste direkt in die Wohnungen zugenommen und die Einnahmen des Restaurantbetriebes haben abgenommen. Im Rahmen einer Betriebsanalyse wurden die diversen Gästebefragungen ausgewertet und mit Direktbefragungen ergänzt.
Fazit: Bemängelt wurde neben den nicht mehr zeitgemässen Infrastrukturen das Speisenangebot hinsichtlich der Abwechslung und der Saisonalität. Bezüglich der Infrastrukturen liegt ein innovatives, umsetzungsbereites Konzept vor. Das nachfolgende Interview mit dem langjährigen Leiter der Produktion und der neuen Sous- Chefin zeigt exemplarisch auf, wie der Ausbruch aus der Traditionsfalle gelingen kann. Da die Budgets für die Umsetzung noch nicht freigegeben wurden, sind die Namen des Betriebes und der am Interview beteiligten Personen geändert.
Herr Mauthier, sie sind seit über zwanzig Jahren Küchenchef und damit schon lange für die Menüplanung verantwortlich. Die Analyse zeigt eine latente Unzufriedenheit in der Angebotsplanung. Unter anderem wird die Saisonalität vermisst. Wie stehen Sie generell zur saisonalen Frischküche und im Besonderen, was haben Sie für die bevorstehende Frühlingszeit geplant?
Ach, wissen Sie, früher haben wir gekocht, was es gab. Da ist der Gemüselieferant direkt vom Markt bei uns vorbeigekommen und hat uns quasi vorgegeben, was für Gemüsegerichte und Beilagen auf dem Menü zu stehen haben. Heute gibt es ja alles das ganze Jahr über. Wozu der ganze Hype um frische Zutaten? Tiefkühlware ist doch genauso gut und teilweise sogar besser, da diese frisch ab Feld bereits schockgefrostet wird.
Frau Schulvain, Sie sind seit einigen Monaten als Sous-Chefin im Betrieb und kommen aus einem bekannten Restaurantbetrieb, welcher unter anderem die vegetarische und vegane Frischküche zelebriert. Sie setzen sich für frische, saisonale Zutaten ein. Was entgegnen Sie Herrn Mauthier?
Natürlich kann man mit Tiefkühlware arbeiten, aber frische Zutaten bieten einfach ein viel intensiveres Aroma. Bärlauch, Spargel oder Morcheln – die haben jetzt bald Saison und sind in dieser Zeit besonders geschmackvoll und nahrhaft. Das kann – und soll – man nicht einfach durch Tiefkühlkost ersetzen.
Welche Frühlingszutaten sind aktuell besonders beliebt?
Mauthier: Na gut, Spargel natürlich, den wollen die Leute jedes Jahr. Und Radieschen als Garnitur gehen auch immer. Schulvain: Ich liebe Bärlauch! Damit kann man so viel machen – Pesto, Risotto, Butter... Und dann natürlich junge Erbsen und Mairüben, die bringen eine wunderbare Frische in Gerichte.
Tiefgekühlte Produkte sind doch auch praktisch. Welche Vorteile haben frische Zutaten wirklich?
Mauthier: Frisch ist gut, aber es muss schnell gehen in der Küche. Wer hat Zeit, stundenlang Gemüse zu putzen?
Schulvain: Aber genau da liegt doch die Kunst! Mit frischen Zutaten kann man kreativ sein. Sie haben eine bessere Konsistenz, intensivere Aromen und bieten viel mehr Abwechslung. Ausserdem ist es nachhaltiger, regional einzukaufen. Morgen werden wir ein Schnitzel mit Bärlauchkruste degustieren. Ich habe den ersten Bärlauch selber gepflückt, da am Markt noch keiner verfügbar war. Aber es gibt immer mehr Lieferanten, welche sich auch auf die Verfügbarkeit von saisonalen Frischprodukten spezialisiert haben. Ich denke, das Endprodukt wird überzeugen und hoffe, dass wir dann die entsprechenden Mengen bestellen können.
Herr Mauthier, was halten Sie von den Ideen ?
Mauthier: Naja, wenn die Gäste es mögen. Aber solange die Klassiker wie Schnitzel mit Spargel gefragt sind, bleibe ich dabei.
Schulvain: Ich denke, man kann Tradition mit Innovation verbinden. Warum nicht mal Spargel mit Erdbeer- Vinaigrette oder eine Spargel-Tarte mit Ziegenkäse anbieten. Unsere Bewohnenden werden zukünftig auch eine viel breitere Range an kulinarischem Know-how mitbringen. Die Babyboomer sind in der Welt herumgekommen und möchten die Vielfalt in unseren Angeboten wieder erleben. Und hier können wir beispielsweise im frühen Frühling eine Fusion eines indischen Sarson ka Saag, eines Senfblättercurrys, zu einem Spargel- oder Bimi Curry versuchen – und damit auch neue, externe Gäste begeistern.
Das sind spannende Ideen für eine zukunftsgerichtete Mischung aus traditioneller und internationaler Frischküche. Wie sieht es mit der Rezepturtreue und generell mit einer optimalen Vorausplanung aus?
Mauthier: Im neuen Konzept ist der Einsatz der neuen Software von KI-KITCHEN in Zusammenspiel mit PKS (Paulis Kitchen Solution) geplant. Da ich heute alle Rezepte in einem Excel-Format erstellt habe, können diese Daten von den Systemen übernommen und in die neue 13-Wochen-Menüplanung übernommen werden.
Schulvain: Und ich habe die Aufgabe, alle saisonalen Rezepte zu erstellen. Auf diese Aufgabe freue ich mich ganz besonders, da es ein Ziel des neuen Angebotes sein wird, sämtliche Wochenhits saisonal zu gestalten. Die Idee ist, dass wir von Montag bis Mittwoch einen regionalen/ saisonalen und von Donnerstag bis Sonntag einen internationalen/saisonalen Wochenhit gestalten werden. Zudem werden in den jeweiligen Menüwochen mindestens an zwei Tagen saisonale Gerichte in beiden Menülinien geplant.
Welche Frühlingsgerichte empfehlen Sie persönlich unseren Lesern?
Mauthier: Spargel mit Hollandaise – klassisch und bewährt.
Schulvain: Bärlauchspätzle oder eine grüne Spargel- Gazpacho – frisch, leicht und perfekt für den Frühling!
Und das neue Konzept würde diese Fusion-Küche unterstützen?
Wenn wir das erarbeitete Konzept realisieren dürfen, wird sich unser Restaurant in eine mediterrane Piazza verwandeln, und zwar im Innen- wie im Aussenbereich. Es sind ein paar Innovationen integriert, welche es so in der Gastrobranche noch nicht gibt. Man darf also gespannt sein.
Frank Forster, Spezialist für Verpflegungsprozesse, Inhaber PVO Resulting