Die Konjunkturforschungsstelle (KOF) der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) hat ihre Prognose für den Anstieg der Gesundheitsausgaben 2021 stark nach unten korrigiert. 2021 hatte sie in ihrer vom Online-Vergleichsportal comparis.ch finanzierten «Prognose der schweizerischen Gesundheitsausgaben» noch ein Wachstum von 7,3 Prozent vorausgesagt. In der heute publizierten neuesten Ausgabe hat sie den Wert auf 4,4 Prozent angepasst.
Für das laufende Jahr prognostiziert die KOF sogar eine Abflachung des Wachstums auf 2,9 Prozent. Die Wachstumsrate wird danach voraussichtlich auf 3,6 Prozent im Jahr 2023 steigen und im Jahr 2024 bei 3,1 Prozent zu liegen kommen.
Im Prognosezeitraum erwartet die Forschungsstelle Gesundheitsausgaben in Höhe von 86,9 Milliarden Franken für 2021, 89,5 Milliarden für 2022, 92,7 Milliarden 2023 und 95,6 Milliarden für 2024.
Prämienanstieg übertrifft Kostenanstieg deutlich
Für Comparis-Gesundheitsexperte Felix Schneuwly ist die gegenüber dem Vorjahr stark zurückgenommene Prognose der KOF zwar mit Vorsicht zu geniessen. «Angesichts des Fachkräftemangels, der Inflation und der politischen Forderungen nach einer höheren Versorgungssicherheit könnte sich die Prognose im Nachhinein als zu optimistisch erweisen», warnt er.
Nichtsdestotrotz dürfte das Wachstum der Gesundheitskosten effektiv deutlich unter dem aktuellen Anstieg bei den Grundversicherungsprämien liegen. Diese steigen 2023 im Schnitt um 6,6 Prozent. «Der Anstieg der Gesundheitsausgaben geht faktisch zurück. Die Krankenkassen hätten die Corona-Kosten mit ihren Reserven decken und so den drastischen Prämienanstieg von 6,6 Prozent für 2023 vermeiden können, wenn die Politik nicht zur Unzeit den Reserveabbau erzwungen hätte», kommentiert er.
Zu schneller und zu massiver Reserveabbau Laut Schneuwly ist genau das eingetreten, wovor Comparis schon vor einem Jahr gewarnt hat: «Diverse Kassen haben zu schnell und zu massiv ihre hohen Reservebestände abgebaut.» Wie beim letzten grossen Reserveabbau in den 2010er-Jahren kommen auch beim jüngsten Reserveabbau Kurseinbrüche an den Finanzmärkten dazu, die den Spielraum für tiefe Prämien massiv einschränken.
Tatsächlich hat der Bundesrat laut Schneuwly mit einer Verordnungsänderung im letzten Jahr den Druck auf die Versicherer erhöht, Reserven abzubauen. «Viele Kassen haben dem Druck des BAG bei der Prämiengenehmigung nachgegeben und mit weit unter den Kosten berechneten Prämien ihre Reserven zu stark abgebaut», ist Schneuwly überzeugt.
Unterjährige Prämien-Erhöhungen drohen
Angesichts der anhaltenden Verwerfungen an den Börsen und der teils massiven Umschichtungen der Kundenbasis bei verschiedenen kleinen und mittleren Krankenkassen weist Schneuwly auf die Gefahr unterjähriger Prämienerhöhungen im Verlauf des kommenden Jahres hin.
«Verzeichnet ein Versicherer sehr viele Neukunden, verschlechtert sich seine Reservesituation schlagartig. Das könnte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) als Aufsichtsbehörde dazu veranlassen, einzelne Versicherer zu zwingen, ihre Prämien schon vor der nächsten ordentlichen Prämienrunde zu erhöhen», warnt der Comparis-Experte. Comparis fordert das Ende der Prämiengenehmigung durch das BAG Gemäss Schneuwlys Beobachtung funktioniert der Wettbewerb unter den Krankenversicherern. Deshalb könne sich kein Versicherer zu hohe Prämien erlauben.
«Politische Eingriffe in die Reserven der Krankenkassen haben dagegen bisher immer zu Prämienschocks geführt. Und Prämienschocks haben immer massive Kundenwechsel bei den Krankenkassen bewirkt», so der Experte. Weil jede Kasse für ihre Neukundschaft Reserven aufbauen müsse, könne ein starker Kundenzuwachs wiederum die Solvenz der betroffenen Kassen gefährden.
«Es ist allerdings nicht die Aufgabe des BAG, einzelne Kassen vor dem Konkurs zu schützen. Die Versicherten könnten bei einem Konkurs die Kasse wechseln. Und die Gläubiger würden aus dem Insolvenzfonds der Krankenversicherer entschädigt», so Schneuwly. Er fordert deshalb den Verzicht auf die Prämiengenehmigung durch das BAG: «Es reicht, wenn die Krankenkassen dem BAG die Prämien fürs nächste Jahr mitteilen. Eine Prämiengenehmigung ist nicht nötig.»