«Mit Freude lese ich jedes Jahr die Arbeiten und ich bin immer wieder fasziniert von der Vielfalt und der hohen Qualität der Einreichungen. Es ist uns seit 1992 ein ungebrochenes Anliegen mit dem Pfizer Forschungspreis diesen so lebendigen Forschergeist in der Schweiz zu unterstützen. Forschung leistet einen wichtigen Beitrag, um medizinische Durchbrüche zu erreichen, die das Leben von Patientinnen und Patienten positiv beeinflussen und verändern können», so Dr. med. Rahel Troxler Saxer, Präsidentin des Stiftungsrates. Der Pfizer Forschungspreis ist einer der renommiertesten Medizin Forschungspreise der Schweiz. Er wird seit 1992 von der Stiftung Pfizer Forschungspreis auf Vorschlag von unabhängigen wissenschaftlichen Kommissionen in den Bereichen Grundlagenforschung und klinische Forschung verliehen. Teilnahmeberechtigt sind Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die nicht älter als 45 Jahre sind. Mit der 29. Preisverleihung ehrt die Stiftung Pfizer Forschungspreis 19 Forscher und Forscherinnen aus zehn Nationen. Sie gehören zu bislang insgesamt 369 Ausgezeichneten.
Das sind die Preisträgerinnen und Preisträger und für diese Arbeiten wurden sie ausgezeichnet:
Herzkreislauf, Urologie und Nephrologie
Dr. Julie Refardt, Universitätsspital Basel
Wenn der Durst extrem ist:
Ein Diagnose-Ansatz mit Copeptin bei Diabetes Insipidus
Beim Diabetes Insipidus liegt eine gestörte Wasserhaushaltsregulation im Körper vor, so dass grosse Mengen Urin ausgeschieden werden. Die Krankheit ist durch eine hohe Harnausscheidung sowie durch starken Durst und erhöhte Trinkmenge (Polydipsie) zum Ausgleich des Flüssigkeitsverlusts charakterisiert. Um einen Diabetes Insipidus zu diagnostizieren und von der sogenannten primären Polydipsie (erhöhte Flüssigkeitsaufnahme und Durst ohne Grunderkrankung) zu unterscheiden, ist seit Jahrzehnten der Durstversuch der diagnostische Standard. Der Durstversuch, bei welchem die Teilnehmer über 17 Stunden nichts trinken dürfen, ist nicht nur sehr belastend, sondern auch relativ ungenau.
Das Ziel der Untersuchung des Forschungsteams rund um Julie Refardt war es, die Genauigkeit des herkömmlichen Durstversuchs mit derjenigen eines neuen, Copeptin-basierten Tests zu vergleichen. Copeptin ist ein stabiler Surrogatmarker für das Wasser-regulierende Hormon Vasopressin, dem sogenannten antidiuretischen Hormon. Dazu wurden in elf medizinischen Zentren 156 Patienten und Patientinnen durch eine Infusion mit hypertoner Kochsalzlösung osmotisch stimuliert, um anschliessend deren Copeptin-Spiegel im Blut zu messen.
Tatsächlich führte dies in 97% der Fälle zur richtigen Diagnose, während die Rate der korrekten Diagnosen beim Durstversuch nur bei 77% lag.
Die Studie zeigt, dass die neue Messmethode zu einem deutlich exakteren diagnostischen Ergebnis führt. Zudem ist der Copeptin-basierte Ansatz gut verträglich und wurde von der Mehrheit der Studienteilnehmenden bevorzugt. Fachleute halten es für möglich, dass die neue Messmethode zum Standarddiagnoseverfahren bei Verdacht auf Diabetes Insipidus wird.
A Copeptin-Based Approach in the Diagnosis of Diabetes Insipidus. Wiebke Fenske*, Julie Refardt*, Irina Chifu, Ingeborg Schnyder, Bettina Winzeler, Juliana Drummond, Antônio Ribeiro-Oliveira, Jr., Tilmann Drescher, Stefan Bilz, Deborah R. Vogt, Uwe Malzahn, Matthias Kroiss, Emanuel Christ, Christoph Henzen, Stefan Fischli, Anke Tonjes, Beat Mueller, Jochen Schopohl, Jörg Flitsch, Georg Brabant, Martin Fassnacht, Mirjam Christ-Crain. N Engl J Med. 2018; 379: 428-439.
*These authors contributed equally to this work.
Infektiologie, Rheumatologie und Immunologie
Prof. Roger Kouyos,Universitätsspital Zürich, Universität Zürich
Prof. Claus Kadelka, Universität Zürich
Aufspüren von HIV-Stämmen, gegen die effektive
Antikörper-Antworten möglich sind
Weil sich HI-Viren ständig verändern und gut verstecken, laufen die Abwehrversuche menschlicher Antikörper zumeist ins Leere. Wenige HIV-infizierte Menschen produzieren jedoch breit wirksame Antikörper, die in der Lage sind, fast alle bekannten Viren-Stämme zu neutralisieren. Für Wissenschaftler sind genau diese Antikörper von ausserordentlichem Interesse, da ihre Abwehrstrategien als Grundlage für die Entwicklung von einem wirksamen Impfstoff gegen HIV dienen könnten.
Das Forschungsteam mit Roger Kouyos und Claus Kadelka wollte die genetischen Faktoren erforschen, die für die Entwicklung von solchen breit wirksamen HIV-Antikörpern verantwortlich sind.
Für ihre Studie nutzten die beiden Forscher Blutproben und klinische Daten von über 4000 HIV-infizierten Personen der Swiss HIV Cohort Study und der Zurich Primary HIV Infection Study. Dabei fanden sie rund 300 potenzielle «Transmissionspaare», also Proben von je zwei Patienten, deren Virusgenome sich so ähnelten, dass von einer Infektion mit dem gleichen Virusstamm ausgegangen werden konnte. Beim Vergleich der HIV-Antikörperreaktionen innerhalb dieser Paare traten ähnliche Muster auf. Bemerkenswerterweise zeigten dabei genetische Faktoren der Viren einen signifikanten Einfluss auf die Art der entwickelten Antikörperreaktionen. Die Wissenschaftler entdeckten in ihrer Patientenkohorte zudem ein Transmissionspaar, bei dem beide Partner eine sehr ähnliche, effektive und breit wirksame Antikörperantwort aufwiesen. Gleichzeitig konnten sie eine systematische Strategie entwickeln, um zukünftig die Virusstämme zu suchen, welche solche effiziente Antikörperreaktionen auslösen können.
Die neuen Erkenntnisse zum Einfluss des viralen Genoms auf die Antikörperbildung, aber auch die Detektion eines Viren-Stamms, der diese effektive Antikörperantwort auslöst, sind möglicherweise eine Basis für eine zukünftige HIV-Impfstoffentwicklung.
Tracing HIV-1 strains that imprint broadly neutralizing antibody responses. Roger D. Kouyos*, Peter Rusert*, Claus Kadelka*, Michael Huber,Alex Marzel, Hanna Ebner, Merle Schanz, Thomas Liechti, Nikolas Friedrich, Dominique L. Braun, Alexandra U. Scherrer, Jacqueline Weber, Therese Uhr, Nicolas S. Baumann, Christine Leemann, Herbert Kuster, Jean-Philippe Chave, Matthias Cavassini, Enos Bernasconi, Matthias Hoffmann, Alexandra Calmy, Manuel Battegay, Andri Rauch, Sabine Yerly, Vincent Aubert, Thomas Klimkait, Jürg Böni, Karin J. Metzner, Huldrych F. Günthard, Alexandra Trkola & The Swiss HIV Cohort Study. Nature. 2018; 561 (7723): 406-10.
*These authors contributed equally to this work.
Infektiologie, Rheumatologie und Immunologie
Dr. Ivan Jelčić, Universitätsspital Zürich; Universität Zürich
Dr. Faiez Al Nimer, Universitätsspital Zürich; Karolinska Institutet, Stockholm
Die Rolle von B-Gedächtniszellen in der
Aktivierung von T-Zellen bei Multipler Sklerose
Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS) und eine der häufigsten Ursachen neurologischer Störungen bei jungen Erwachsenen. Trotz grosser Forschungsanstrengungen liegen die Gründe für diese Erkrankung nach wie vor im Dunkeln. Hauptsächlich im Fokus steht die T-Zell vermittelte Autoimmunreaktion, bei der T-Zellen gegen Antigene im ZNS reagieren. Vermutet wird aber auch, dass neben T- auch B-Zellen bei der Aktivierung der Entzündungsprozesse eine wichtige Rolle spielen. Ivan Jelčić und Faiez Al Nimer von der Abteilung für Neuroimmunologie und MS Forschung sowie kollaborierende Wissenschaftler wollten wissen, welche Mechanismen das immunologische Gleichgewicht (Homöostase) bei MS stören und wie B- und T-Immunzellen an der Entstehung der Krankheit beteiligt sind.
Die Forschenden entwickelten zuerst ein experimentelles in vitro System, mit dem es möglich war, Veränderungen der Homöostase an menschlichen Blutproben zu untersuchen. Dabei zeigte sich eine erhöhte Zellteilungsrate von T-Zellen, speziell bei Patienten mit dem wichtigsten genetischen Risikofaktor der MS, HLA-DR 15. Die T-Zellvermehrung war von der Interaktion mit Gedächtnis-B-Zellen abhängig. So führte die Elimination der B-Zellen zu einer deutlichen Hemmung der T-Zell-Aktivität bei MS-Patienten. Aufgrund der Befunde der Forschenden, ist das Zusammenspiel dieser beiden Zelltypen der Schlüsselaspekt für die gesteigerte T-Zellvermehrung bei MS Patienten. Weitere Untersuchungen führten zum Nachweis dieser T-Zellen in aktiven Gehirnläsionen von MS Patienten und zur Identifikation eines neuen Ziel-Antigens, welches hauptsächlich in B-Zellen und im Gehirn exprimiert wird.
Die Ergebnisse dieser Untersuchungen beantworten wichtige Fragen zur Interaktion zwischen B-Zellen und T-Zellen. Sie bieten eine mögliche Erklärung dafür, warum die Behandlung mit B-Zell-depletierenden Substanzen bei MS wirksam ist und könnten damit den Weg zu weiteren, präziseren Behandlungen der Multiplen Sklerose ebnen.
Memory B Cells Activate Brain-Homing, Autoreactive CD4+ T Cells in Multiple Sclerosis. Ivan Jelcic*, Faiez Al Nimer*, Jian Wang, Verena Lentsch, Raquel Planas, Ilijas Jelcic, Aleksandar Madjovski, Sabrina Ruhrmann, Wolfgang Faigle, Katrin Frauenknecht, Clemencia Pinilla, Radleigh Santos, Christian Hammer, Yaneth Ortiz, Lennart Opitz, Hans Grönlund, Gerhard Rogler, Onur Boyman, Richard Reynolds, Andreas Lutterotti, Mohsen Khademi, Tomas Olsson, Fredrik Piehl, Mireia Sospedra and Roland Martin. Cell. 2018 Sep 20;175(1):85-100.
*These authors contributed equally to this work.
Neurowissenschaften und Erkrankungen des Nervensystems
Dr. Ilaria Vitali, Université de Genève
Dr. Sabine Fièvre, Université de Genève
Bioelektrische Aktivität treibt die
neuronale Vielfalt in der Hirnentwicklung an
Während der Embryogenese der Hirnrinde entstehen in einem Teil der Hirnrinde, dem Neokortex aus neuronalen Stammzellen, den sogenannten Progenitoren, nach und nach verschiedene Nervenzelltypen. Bislang standen bei der Betrachtung dieser Zelldifferenzierungen vor allem genetische Vorgänge im Fokus. Nicht-genetische Parameter, wie zum Beispiel bioelektrische Veränderungen, blieben unbeachtet.
Das Ziel der Studie des Forschungsteams mit Ilaria Vitali und Sabine Fièvre war es, bislang wenig erforschte Mechanismen der Entwicklung der neuronalen Diversität in der Hirnrinde der Maus zu untersuchen. Die Genfer Wissenschaftlerinnen bestimmten dafür die elektrische Aktivität der Progenitoren des Neokortex. Dabei beobachteten sie, dass sich die bioelektrischen Eigenschaften im Laufe der Gehirnentwicklung veränderten. Um zu bestimmen, ob und wie diese Veränderungen tatsächlich die Neurogenese, also die Bildung der Nervenzellen, beeinflussen, wurden die bioelektrischen Voraussetzungen der kortikalen Stammzellen genetisch manipuliert.
Die beiden Forscherinnen machten eine unerwartete Entdeckung: Während der Genese des Cortex erwiesen sich die Progenitoren als hyperpolarisiert, das heisst, die sowieso schon negative elektrische Spannung zwischen der Innen- und der Aussenseite der Zellmembranen wurde noch negativer. Diese Beobachtung hatte Konsequenzen: Eine künstlich erzeugte Hyperpolarisation führte zur vorzeitigen Ausdifferenzierung von Progenitor-Zellen, während die Depolarisation den gegenteiligen Effekt hatte.
Erstmals konnte hier bei Mäusen gezeigt werden, dass ein Wechsel der bioelektrischen Eigenschaften der neuronalen Stammzellen wesentlich für die weitere Entwicklung der Hirnrinde ist. Die Ergebnisse, dass nicht nur das genetisch festgelegte Programm, sondern auch bioelektrische Mechanismen eine zentrale Rolle spielen, haben möglicherweise massgebend Einfluss auf das Verständnis der Gehirnentwicklung.
Progenitor Hyperpolarization Regulates the Sequential Generation of Neuronal Subtypes in the Developing Neocortex. Ilaria Vitali*, Sabine Fièvre*, Ludovic Telley, Polina Oberst, Sebastiano Bariselli, Laura Frangeul, Natalia Baumann, John J. McMahon, Esther Klingler, Riccardo Bocchi, Jozsef Z. Kiss, Camilla Bellone, Debra L. Silver, Denis Jabaudon. Cell. 2018; 174: (5), 1264–1276. *These authors contributed equally to this work.
Neurowissenschaften und Erkrankungen des Nervensystems
Dr. Daniela Latorre,
Istituto di Ricerca in Biomedicina (IRB), Bellinzona; Università della Svizzera italiana, Lugano; ETH Zürich
Prof. Ulf Kallweit,
Universität Bern; Inselspital Bern; Universität Witten/Herdecke (DE)
Narkolepsie:
Licht ins Dunkel einer rätselhaften Krankheit
Narkolepsie ist eine neurologische Schlaf-Wach-Regulationsstörung, welche 1/2000 Personen in der Allgemeinbevölkerung betriff und durch exzessive Tagesschläfrigkeit, Halluzinationen, Schlafprobleme sowie einen, durch starke Emotionen ausgelösten, kurzzeitigen Verlust des Muskeltonus gekennzeichnet ist. Über die Ursachen dieser rätselhaften Krankheit wird schon lange diskutiert. Bekannt ist, dass sie mit einem selektiven Verlust von Nervenzellen des seitlichen Hypothalamus verbunden ist. In dieser Hirnregion wird das Neuropeptid Hypokretin produziert, das unter anderem Einfluss auf die Schlaf-Wach-Regulation und stabile Erhaltung von Wachheit bzw. Schlafzuständen hat. Seit Jahren wird diskutiert, dass der Narkolepsie möglicherweise ein autoimmuner Krankheitsmechanismus zugrunde liegen könnte.
Um der Krankheitsentstehung von Narkolepsie und der Rolle des Immunsystems auf den Grund zu gehen, untersuchten Daniela Latorre und Ulf Kallweit Immunzellen aus dem Blut und der Hirnflüssigkeit von Betroffenen. Sie nutzten eine sensitive Methode, um das Repertoire an T-Lymphozyten von Narkolepsie-Patienten zu analysieren. Tatsächlich identifizierten sie erstmals CD4- und CD8-Lymphozyten, die sich, sowohl im Blut als auch in der Hirnflüssigkeit, autoreaktiv gegen die von Hypokretin-produzierenden Neuronen sezernierten Proteine, inkl. Hypokretin richteten. Diese Beobachtung stellt den ersten direkten Nachweis dar, dass es sich bei der Narkolepsie um eine Autoimmunerkrankung handelt.
Die Ergebnisse dieser Untersuchung geben neue Einblicke in die Krankheitsentstehung von Narkolepsie und eröffnen neue Wege für die Frühdiagnose und kausale Therapie dieser
T cells in patients with narcolepsy target self-antigens of hypocretin neurons. Daniela Latorre*, Ulf Kallweit*, Eric Armentani, Mathilde Foglierini, Federico Mele, Antonino Cassotta, Sandra Jovic, David Jarrossay, Johannes Mathis, Francesco Zellini, Burkhard Becher, Antonio Lanzavecchia, Ramin Khatami, Mauro Manconi, Mehdi Tafti, Claudio L. Bassetti, Federica Sallusto. Nature 2018 Oct; 562 (7725): 63-68.
*These authors contributed equally to this work.
Neurowissenschaften und Erkrankungen des Nervensystems
Dr. Fabien B. Wagner,
Ecole polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL)
Dr. Jean-Baptiste Mignardot,
Ecole polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL)
Dr. Camille Le Goff-Mignardot,
Ecole polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL)
Wieder Gehen lernen nach Querschnittslähmung
durch elektrische Rückenmarksstimulation
Rückenmarksverletzungen führen häufig zu schweren Bewegungseinschränkungen, bis hin zur irreversiblen Lähmung. Verschiedene Ansätze der Rehabilitation in den vergangenen drei Dekaden konnten nur bescheidene neurologische Behandlungserfolge aufweisen und haben nicht dazu geführt, dass Patienten mit schweren Lähmungen wieder laufen konnten.
Das Forschungsteam mit Fabien Wagner, Jean-Baptiste Mignardot und Camille Le Goff-Mignardot wollte neue Methoden der Rückenmarksstimulation in Verbindung mit Bewegungstraining entwickeln, mit dem Ziel, dass Betroffene mit schweren Rückenmarksverletzungen wieder laufen lernen konnten.
Die Teilnehmer der Studie hatten mindestens vier Jahre zuvor eine schwere Rückenmarksverletzung mit bleibenden Schäden bis hin zur Querschnittslähmung erlitten. Sie wurden über einen Neurostimulator mit 16 im Lumbosakralbereich implantierten Elektroden verbunden. Über definierte elektrische Impulse konnten die zum Gehen notwendigen Muskeln aktiviert und über Sensoren an den Füssen drahtlos kontrolliert werden. Allerdings genügt eine Stimulierung alleine nicht. Zusätzlich wurden multidirektionale Kräfte bei den Patienten angewendet, welche in einem unterstützenden Gurtsystem standen, welches einen Teil des Körpergewichts trug. Bereits nach einer Woche Training führte die optimierte Stimulation dazu, dass willentliche Bewegungen und Gehübungen möglich waren. Nach 6 Monaten Training hatten die Teilnehmer sogar ohne elektrische Stimulation ihre willentliche Kontrolle über zuvor gelähmte Muskeln zurückgewonnen. Zudem passte das Forschungsteam diese Technologien für den Gebrauch ausserhalb des Labors an, so dass die Patienten mit einer Gehhilfe oder in einem unterstützten Fahrradsetting gekoppelt an die Stimulation kurze Strecken im Freien zurücklegen konnten.
Bis heute gibt es für paraplegische Patienten keine Heilung. Die Lausanner Wissenschaftler haben jedoch eine neuartige Neurotechnologie entwickelt, mit der das Rückenmark elektrisch so stimuliert wird, dass ein Bewegungstraining wieder möglich ist. Die verbesserte motorische Bewegungskontrolle nach einigen wenigen Trainingsmonaten könnte zudem das tägliche Leben der Patienten nachhaltig verbessern.
Targeted neurotechnology restores walking in humans with spinal cord injury. Fabien B. Wagner, Jean-Baptiste Mignardot, Camille G. Le Goff-Mignardot, Robin Demesmaeker, Salif Komi, Marco Capogrosso, Andreas Rowald, Ismael Seáñez, Miroslav Caban, Elvira Pirondini, Molywan Vat, Laura A. McCracken, Roman Heimgartner, Isabelle Fodor, Anne Watrin, Perrine Seguin, Edoardo Paoles, Katrien Van Den Keybus, Grégoire Eberle, Brigitte Schurch, Etienne Pralong, Fabio Becce, John Prior, Nicholas Buse, Rik Buschman, Esra Neufeld, Niels Kuster, Stefano Carda, Joachim von Zitzewitz, Vincent Delattre, Tim Denison, Hendrik Lambert, Karen Minassian, Jocelyne Bloch & Grégoire Courtine. Nature. 2018; 563: 65–71.
Onkologie
Dr. Arianna Calcinotto,
Institute of Oncology Research IOR, Bellinzona; Università della Svizzera italiana, Lugano
Die zerstörerische Kraft des
Immunsystems bei Prostatakrebs
Die Krebszellen eines Prostatakarzinoms benötigen um zu wachsen fast immer männliche Geschlechtshormone. Entsprechend kann durch die medikamentöse Hemmung solcher Androgene das Tumorwachstum gebremst werden. Das Problem dabei: Früher oder später reagieren die meisten Tumorzellen nicht mehr auf die anti-Androgen-Therapie, sie sind «kastrationsresistent».
Das Forschungsteam mit Arianna Calcinotto wollte herausfinden, wie der Prostata-Tumor es «schafft», solchen anti-Androgen-Behandlungen zu widerstehen und sogar gestärkt daraus hervorzugehen. Dafür analysierten sie Tumor-Biopsien aus Prostata-Gewebe, sowohl von Patienten, die auf eine Hormonbehandlung reagierten als auch von solchen, die nicht ansprachen.
Im Laufe ihrer Studie identifizierten sie eine eigenartige Anreicherung spezieller Immunzellen, der sogenannten Myeloiden Suppressorzellen. Bei gesunden Menschen regulieren diese Zellen die Erneuerung des Gewebes und die Immunantwort. Bei Tumorpatienten unterdrücken sie jedoch die Immunantwort der Abwehrzellen und unterstützen somit den Tumor. Eine entscheidende Rolle spielt dabei das Zytokin IL-23, ein Entzündungsfaktor, der von Myeloiden Suppressorzellen ausgeschüttet wird. Die Forschenden konnten nun im Mausmodell zeigen, dass dieses Zytokin, unabhängig vom Androgenspiegel, das Überleben der Krebszellen im Prostatakarzinom sichert und deren Wachstum sogar fördert. Tatsächlich war IL-23 einer der am meisten angereicherten Faktoren im Plasma von Patienten mit metastasiertem kastrationsresistenten Prostatakrebs.
Die Studienergebnisse von Arianna Calcinotto öffnen den Weg für neue therapeutische Forschungsansätze. So ist bereits eine Untersuchung geplant, bei der mit Antikörpern versucht werden soll, das Zytokin IL-23 und damit die Tumorunterstützung zu blockieren.
IL-23 secreted by myeloid cells drives castration-resistant prostate cancer. Calcinotto A, Spataro C, Zagato E, Di Mitri D, Gil V, Crespo M, De Bernardis G, Losa M, Mirenda M, Pasquini E, Rinaldi A, Sumanasuriya S, Lambros MB, Neeb A, Lucianò R, Bravi CA, Nava-Rodrigues D, Dolling D, Prayer-Galetti T, Ferreira A, Briganti A, Esposito A, Barry S, Yuan W, Sharp A, de Bono J, Alimonti A. Nature. 2018 Jul; 559 (7714): 363-369.
Onkologie
Fiamma Berner,
Kantonsspital St. Gallen
Dr. David Bomze,
Kantonsspital St. Gallen
Prof. Lukas Flatz,
Kantonsspital St. Gallen
Wenn die Bremse gelöst wird:
Autoimmune Nebenwirkungen bei Checkpoint Inhibitoren
Immuncheckpoints sind wichtige Kontrollzentren des Immunsystems. Sie verhindern im gesunden Körper eine Autoimmunreaktion, bei der sich Lymphozyten gegen das körpereigene Gewebe richten. Allerdings werden Immuncheckpoints von manchen Tumoren zu deren Vorteil manipuliert, so dass diese sich der Zerstörung durch T-Zellen entziehen. Seit einigen Jahren ist man in der Lage, mit Immuncheckpoint-Inhibitoren diese «Bremse des Immunsystems» zu lösen und damit die spezifische Bekämpfung des Tumors anzuschieben - ein Durchbruch, der 2018 mit dem Nobelpreis belohnt wurde.
Allerdings ist die Checkpoint-Hemmung oft mit bislang kaum verstandenen autoimmunen Nebenwirkungen verbunden. Das Forschungsteam um Fiamma Berner, David Bomze und Lukas Flatz haben sich dieser Problematik erstmals mit einer umfassenden Studie angenommen. Ihr Ziel war es, bei Lungenkrebspatienten mehr über die Mechanismen dieser spezifischen Nebenwirkungen zu erfahren.
Für das Projekt fokussierten die Forschenden auf die Autoimmuntoxizität der Haut. Tatsächlich fanden sie, dass sich die Autoimmun-T-Zellen beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom gegen Eigen-Antigene richten, die sowohl auf dem Tumor als auch auf der Haut sitzen. Dadurch wird der Tumor zwar zurückgedrängt, gleichzeitig entwickeln sich unerwünschte Nebenwirkungen. Auch eine weitere Beobachtung könnte mit dieser neuen Erkenntnis zu erklären sein: Je besser die Immuntherapie gegen den Krebs wirkt, desto stärker sind auch die Autoimmuntoxizitäten in anderen Organen. Die Wissenschaftler hoffen, dass die Identifikation solcher Eigen-Antigene auf T-Zellen eine Vorhersage über die Wirksamkeit bestimmter Behandlungen zulassen und gleichzeitig eine Prognose über das Risiko für die Entwicklung solcher Autoimmunreaktionen erlauben.
Zudem helfen die Studienergebnisse, die Entstehung von Autoimmuntoxizität bei Lungenkrebspatienten zu verstehen, welche durch Immuncheckpoint-Inhibitoren ausgelöst wird.
Association of Checkpoint Inhibitor–Induced Toxic Effects with Shared Cancer and Tissue Antigens in Non–Small Cell Lung Cancer. Fiamma Berner, David Bomze*, Stefan Diem, Omar Hasan Ali, Mirjam Fässler, Sandra Ring, Rebekka Niederer, Christoph J. Ackermann, Petra Baumgaertner, Natalia Pikor, Cristina Gil Cruz, Willem van de Veen, Mübeccel Akdis, Sergey Nikolaev, Heinz Läubli, Alfred Zippelius, Fabienne Hartmann, Hung-Wie Cheng, Gideon Hönger, Mike Recher, Jonathan Goldman, Antonio Cozzio, Martin Früh, Jacques Neefjes, Christoph Driessen, Burkhard Ludewig, Ahmed N. Hegazy, Wolfram Jochum, Daniel E. Speiser, Lukas Flatz. JAMA Oncol. 2019 April 25; 5(7): 1043-1047.
*These authors contributed equally to this work.
Pädiatrie
Lukas Villiger,
ETH Zürich
CRISPR DNA-Reparatur: Behandlung einer genetisch
bedingten Stoffwechselerkrankung am Mausmodell
Die erbliche Stoffwechselkrankheit Phenylketonurie kann unentdeckt bei Kindern starke kognitive Beeinträchtigungen und Entwicklungsstörungen hervorrufen. Die Ursache dafür sind Mutationen im Gen, das den Bauplan für ein wichtiges Enzym liefert. So ist das Enzym Phenylalaninhydroxylase, welches in der Leber gebildet wird, defekt und es kann keine Umwandlung von Phenylalanin in Tyrosin stattfinden. Das heisst, es reichert sich zu viel des Stoffes Phenylalanin im Körper an. Seit wenigen Jahren steht das sogenannte CRISPR/Cas9-Verfahren zur Verfügung, mit dem DNA gezielt geschnitten und verändert werden kann. Allerdings erwies sich die präzise Reparatur von Einzelmutationen wie bei der Phenylketonurie bislang als sehr schwierig.
Das Forschungsteam mit Lukas Villiger wollte einen Ansatz mit Hilfe systemischer Virenadministration entwickeln, der es ermöglichen soll, modifizierte CRISPR/Cas9-Proteine für die Heilung genetischer Krankheiten wie der Phenylketonurie einzusetzen.
In ihrer Studie bei ausgewachsenen Mäusen wurde mit Hilfe kleiner Viren Agens, welches das Genom editieren soll, in die Leberzelle der Maus transportiert. Da diese Viren eine beschränkte Transportkapazität haben, mussten die benötigten «molekularen Maschinen» aufgeteilt und in zwei separate Viren gepackt werden. Wurde eine Zelle mit beiden Viren infiziert, erlaubte dies alle Komponenten für die Korrektur der verantwortlichen Genmutation bereitzustellen. Als Kontrolle untersuchten die Forscher danach unter anderem den Phenylalanin – Blutspiegel bei den Mäusen und konnten zeigen, dass dieser sich normalisierte und die Krankheitszeichen bei den Tieren verschwanden.
Mittels diesem modifizierten CRISPR/Cas9 – Ansatz konnte das Forschungsteam erfolgreich die Krankheits-verursachende Mutation bei der Phenylketonurie in vivo bei ausgewachsenen Mäusen angehen. Da die Methode einen grossen Anteil der fehlerhaften Genkopien in der Mäuseleber korrigieren konnte, kann sie möglicherweise in der Zukunft auch bei anderen Erbkrankheiten untersucht werden.
Treatment of a metabolic liver disease by in vivo genome base editing in adult mice. Lukas Villiger, Hiu Man Grisch-Chan, Helen Lindsay, Femke Ringnalda, Chiara Balbo Pogliano, Gabriella Allegri, Ralph Fingerhut, Johannes Häberle, Joao Matos, Mark D. Robinson, Beat Thöny, Gerald Schwank. Nat. Med. 24, 1519–1525 (2018).
Pädiatrie
Dr. Johan N. Siebert,
Hôpital des enfants, Hôpitaux universitaires de Genève
Dr. Dr. Frédéric Ehrler,
Hôpitaux Universitaires Genève
Weniger Medikationsfehler bei
Kindern in Notfallsituationen
Falsche Medikationen gehören zu den häufigsten medizinischen Fehlern. Gerade bei Kindern ist die intravenöse Bereitstellung von Arzneien eine komplexe Angelegenheit, zumal in den meisten Fällen auf die Injektionsfläschchen für Erwachsene zurückgegriffen werden muss. Da die Dosierung individuell auf das jeweilige Körpergewicht des Kindes angepasst werden muss, können Irrtümer und falsche Berechnungen, wie sie vor allem in hektischen Notfall-Situationen immer wieder auftreten, zu schwerwiegenden Konsequenzen führen.
Das Ziel der Forschungsgruppe mit Johan Siebert und Frédéric Ehrler war es daher, eine «Mobile Device Application» für das Spitalsetting zu entwickeln, welche das Risiko solcher Fehler während pädiatrischer Herz-Lungen-Reanimationen reduzieren soll.
Dafür entwickelten die beiden Genfer Wissenschaftler eine App für mobile Übertragungssysteme, die in Form eines Schritt-für-Schritt-Leitfadens die korrekte Zusammenstellung der jeweils erforderlichen Medikation bei kontinuierlichen Infusionen sicherstellt. Um zu kontrollieren, ob die neue App tatsächlich funktioniert, wurde sie in einer multizentrischen, randomisierten, kontrollierten Cross-over-Studie mit der herkömmlichen Medikamentenanrichtung und -bereitstellung verglichen. Für die Untersuchung wirkten an unterschiedlichen Spitälern insgesamt 128 Pflegekräfte mit. Sie stellten während einer simulierten pädiatrischen Reanimationssituation kontinuierliche Infusionen bereit. Tatsächlich reduzierten sich die Medikationsfehler unter Verwendung der neuen App im Vergleich zur herkömmlichen Methode um 68%, nämlich von 75% zu 7%. Gleichzeitig verminderte sich die Präparationszeit für die Medikamente dank des elektronischen Hilfsmittels signifikant.
Mit Hilfe dieser App werden mögliche Fehler bei der Medikamentenbereitstellung in Zukunft hoffentlich vermindert und rettende Zeit eingespart. Die App hat das Potenzial, die pädiatrische Notfallmedizin massgeblich zu unterstützen.
A novel electronic algorithm using host biomarker point-of-care tests for the management of febrile illnesses in Tanzanian children (e-POCT): A randomized, controlled non-inferiority trial. Kristina Keitel, Frank Kagoro, Josephine Samaka, John Masimba, Zamzam Said, Hosiana Temba, Tarsis Mlaganile, Willy Sangu, Clotilde Rambaud-Althaus, Alain Gervaix, Blaise Genton, Valérie D'Acremont. PLoS Med. 2017 Oct 23;14(10):e1002411.