Es dürfte ein grimmiger Winter werden: Eisige Wohnungen wegen steigender Strompreise, leere Portemonnaies wegen verteuerter Produkte und geschrumpfte Budgets wegen höheren Krankenkassenprämien. Wenn sich auch noch das Wetter klimaunfreundlich gibt, haben wir den perfekten Sturm. Wohl fiel die Ernte 2022 gut aus, unsere Vorratskammern sind gefüllt. Doch längerfristig reicht das nicht aus.
Wie immer um diese Jahreszeit sprudeln die Kostensenkungsideen. Nachdem der Bundesrat sein nicht bezifferbares Sparpaketli Nr. 2 den Räten übergeben hat, üben sich Parteien, Verbände und Lobbyisten fleissig im Verteilen von Wunsch-, Gruss- und Schwarzpeterkarten. Die Vorschläge reichen von Altbekanntem (EFAS) über Untaugliches (Reserveabbau) und Unrealistisches (Globalbudgets) bis zu Groteskem (verstärkte Rechnungskontrolle: Die Schweiz, ein Land von notorischen Kassenbetrügern?).
Was von den bundesrätlichen Vorschlägen übrigbleiben wird, haben wir im Sparpaket 1 und seinen buchstäblichen Splittergruppen a und b gesehen: Sie bleiben weitgehend blutleer (Bussenhöhe, Datenbekanntgabe) oder werden so sperrig ausdefiniert, dass sie ihren Zweck nicht mehr erfüllen können (Experimentierartikel).
So wird es vermutlich auch dem aktuellen Paket und seinen Folge- oder Nebenvorschlägen ergehen: Zerzausen, zerstückeln, bis zur Unkenntlichkeit umformulieren, zu Tode verkomplizieren und zum Schluss den Bach runterspülen. So wie der von Krähen zerhackte Müllsack, den wir zu früh hinausgestellt haben. Eigentlich sollte das ärgern. Empörung hervorrufen. Über die Unfähigkeit des reichsten Landes der Welt, Probleme ernsthaft und gemeinschaftlich anzupacken. Das Feld stattdessen lieber den Krähen zu überlassen, die herauspicken, was sie stört (Medikamentenpreise senken, Umsatzvolumen einschränken) und den restlichen Müll der Allgemeinheit zum Wegräumen hinterlassen.
Aber weil wir wissen, dass wir daran nichts ändern können, weil es zu unserem System dazugehört, wie die ausgrenzende Grüpplibildung auf dem Pausenplatz, bleiben wir stoisch, versuchen, unseren Fatalismus runterzuschlucken und – why not – in konstruktive Gestaltungskraft umzuwandeln.
Hierzu ist es wichtig, einige Facts anzuerkennen
Erstens: Niemand will kein Geld verdienen. Das Gesundheitswesen ist eine brummende, 80 Milliarden schwere, krisenresistente Branche. Weder die Industrie noch die Leistungserbringer oder Versicherer haben ein Interesse daran, dass weniger Geld ins System fliesst. Ökonomisch völlig verständlich und auch alles andere als unredlich. «Sparen» im Sinne von Ausgaben eindämmen ist in dieser Ausgangslage schlicht aussichtlos.
Zweitens: Ausgaben sind nicht Kosten. Was wir als «Gesundheitskosten» bezeichnen (also, das Ding, das schon länger explodiert als der seinerzeitige Urknall) sind Ausgaben. Wenn die Versicherer mit EFAS ihre «Kosten» senken, verlagern sie lediglich die Ausgaben zu den Kantonen. Gleiches ist mit Leistungen, die in den Pflichtkatalog aufgenommen werden, um die «Kosten» der Haushalte zu senken: Sie werden von den Versicherern übernommen. Noch anschaulicher ist die von der FINMA ausgelöste «Hosensacktransaktion» von der Zusatz- in die Grundversicherung im Spitalbereich. Kosten sind etwas anderes.
Drittens: Kosten sind das, was ich aufwenden muss, um ein Produkt oder eine Dienstleistung zu erzeugen. Also Ausgaben für Material, für Gehälter, für Energie, für Finanzleistungen und so weiter. Und diese Dinge steigen, wie eingangs erwähnt. Alles wird teurer, und gleichzeitig verknappen sich die Ressourcen. Insbesondere: Das Personal. Es will berechtigterweise mehr Lohn und macht sich dafür rar. Eine verlorengegangene Pflegekraft ist zigmal dramatischer als eine falsch eingestellte Kostenbremse.
Folglich: Die Tarife werden steigen und damit die Prämien und das Pseudosparkarussell wird sich weiter und immer schneller drehen. Und bei aller Affinität zur Robotik und dem Glauben an die Digitalisierung, diese Knappheit der Mittel (und nicht der Gelder) wird uns, während wir noch auf der müllübersäten Strasse herumirren, einen fiesen Strich durch die nicht bezahlte Rechnung machen und uns zum Umdenken zwingen.
Viertens: Nicht, weil wir alles «billiger» machen müssen, oder rascher (und folglich schludriger), sondern weil wir insgesamt weniger machen müssen. Warum? Umsatz ist Menge mal Preis. Im angebotsgetriebenen Gesundheitswesen wird, wenn der wirtschaftliche Druck steigt, traditionell die Menge erhöht. Mehr Spitalfälle, mehr Tarifpositionen, mehr Konsultationen, mehr Dienstleistungen. Wer sagt schon nein zu wohlmeinend feilgehaltenen Leistungen. Vor allem, wenn’s mit e-Produkten noch schneller geht, die Hemmschwelle im App-Store sinkt und die Zusatzversicherung zahlt.
Das geht gut, solang es billig geht und für Nachschub (aus dem Ausland) gesorgt ist. Wenn es teurer wird, wie jetzt, reisst die Schere zwischen Machbarem und Zahlbarem unbarmherzig auf. Und wenn der Nachschub versiegt, wie jetzt (Fachkräfte, Medikamente), wird gar das Machbare unmachbar. Wir müssen lernen zu priorisieren. Uns überlegen, was wir wirklich brauchen, was wirklich nötig ist. Gemeinsam, mit allen beteiligten Fachpersonen und den von Gesundheitsproblemen Betroffenen mitsamt Umfeld. Das Ganze nennt sich Integrierte Versorgung. Sie ist die Antwort. Und zwar die einzige.
Let’s choose wisely. Noch sind unsere Vorratskammern gefüllt…