Die Freiburger Stimmbevölkerung hat dem HFR 175 Millionen Franken zugesprochen. Wie gross war die Erleichterung nach der gewonnenen Abstimmung?
Sehr gross, denn einen Plan B hatten wir nicht. Ohne die finanzielle Unterstützung hätte ich nicht gewusst, wie wir unsere zukünftigen Projekte umsetzen können. Aber damit kein Missverständnis aufkommt. Das Ganze ist kein Geschenk: Zunächst sind es ja 70 Millionen Franken, die das HFR zinslos als Kredit erhält und in Zukunft zurückzahlen wird. Die übrigen 105 Millionen sind hingegen eine Bürgschaft. Das heisst, wir müssen das Geld auf dem Finanzmarkt aufnehmen und entsprechend den Konditionen auch wieder zurückzahlen. Wie viel wir da letztendlich brauchen, ist eine andere Frage. Aber das ist nicht alles.
Was meinen Sie?
Für mich fast schon ein bisschen unheimlich war diese sehr hohe Zustimmung von knapp 80 Prozent. Das zeigt die unglaubliche Loyalität dem Spital gegenüber. Es gab Leute, die haben gesagt, das ist ja fast schon sowjetisch.
Das ist für Sie sicherlich sehr erfreulich, dabei wäre es doch eigentlich höchste Zeit, einmal über die Schweizer Spitalstrukturen nachzudenken.
Die Abstimmung zeigt, dass die immer wieder auftauchenden Diskussionen über mehr Wettbewerb unter den Spitälern und eine zunehmende Privatisierung ins Leere laufen. Die Bevölkerung macht da nicht mit. Das sieht man eigentlich in jedem Kanton, in dem es darüber zu einer Abstimmung kommt. Die Bevölkerung plädiert einfach für ihr Spital.
Was nicht bedeutet, dass es richtig ist. Abgesehen von den Kosten, ist es doch bewiesen, dass kleine Spitäler häufig nicht die gleiche Qualität haben können, wie grössere Häuser. Andere Länder, gerade in Skandinavien, zeigen mit zentralen Spitälern, wie es effizienter geht.
Ja, natürlich, in Schweden beispielsweise, aber auch in Holland scheint das gut zu funktionieren. Aber wir sind hier in der Schweiz, und der Wille der Bevölkerung ist zu respektieren. Dass das Stimmvolk sehr verantwortungsvoll mit seiner Rolle umgeht, zeigt ja auch das andere Abstimmungsergebnis.
Über die Notfallstationen?
Ja, die Volksinitiative für die Wiedereröffnung der geschlossenen Notfallstationen wurde mit über 60 Prozent deutlich abgelehnt. Wir hätten diese sowieso nicht so umsetzen können, wie die durchschnittliche Bürgerin oder der Bürger sich das vorgestellt hätte. Wegen des fehlenden Personals wäre nur eine abgespeckte Notfallpforte möglich gewesen.
Dass es überhaupt zur Abstimmung über den Kredit kommen musste, liegt ja darin begründet, dass das Spital Verluste macht, für 2024 ist ein Minus von 30 Millionen Franken budgetiert. Auch andere Spitäler haben Probleme, aber in Freiburg ist die finanzielle Situation besonders angespannt. Warum ist das so?
Ich sage es ganz deutlich: Freiburg hat die Umstellung der Spitalfinanzierung 2012 verschlafen. Vor 2012 lief im Prinzip alles über die Defizitgarantie des Kantons. Die Kassen haben ihre Tagestaxen gezahlt, der Kanton hat das Restdefizit übernommen. Die Neuordnung der Spitalfinanzierung 2012 hätte in Freiburg zu einem Umdenken führen müssen, was leider nicht erfolgt ist. Alles ist einfach weitergelaufen, und erst als dann 2017/2018 auf einmal Defizite von 18 Millionen in den Büchern standen, ist man erschrocken.
Mit welcher Konsequenz?
Der ganze Verwaltungsrat wurde ausgetauscht und mehr oder weniger auch die gesamte Direktion. In den Jahren davor wurde so gut wie nichts investiert und auch kein Geld für Investitionen auf die Seite gelegt. So etwas wie eine Kapitaloder Investitionsrechnung gab es nicht, als ich hier 2018 angefangen habe. Darunter leiden wir noch heute. Das ist eine riesige Aufholschlacht, und daher war der Kredit jetzt auch so wichtig, um sinnvolle Investitionen tätigen zu können.
Also alles die Schuld Ihrer Vorgängerinnen und Vorgänger?
2020 kam natürlich die Pandemie mit ihren Herausforderungen, aber 2021 und 2022 ging es uns schon wieder besser, und wir hatten in Freiburg das Defizit fast zum Schmelzen gebracht. Aber dann hat letztes Jahr die Inflation zugeschlagen.
Sie haben gesagt, das Spital braucht das Geld für Investitionen, um was geht es genau?
Im Wesentlichen geht es um Instandhaltungsarbeiten, damit das Spital funktionsfähig bleibt. Ein wichtiger Punkt ist jedoch die neue IT-Infrastruktur. Dazu muss man wissen, dass wir für die Grundversorgung bis Ende 2024 am IT-System des Kantons hängen. Natürlich gibt es eigene Systeme für medizinische Anwendungen, aber die gesamte IT-Verwaltung läuft über den Service des Kantons, dem beispielsweise auch die Polizei oder die Lehrerschaft angegliedert sind. Der Kanton gibt die Basis-Applikation vor, auf die dann spitalspezifische Anwendungen gepfropft wurden, weil die sich nicht oder nur teilweise integrieren liessen. Das hat zu vielen Problemen geführt, mit Unterbrüchen, Fehlern, Workarounds und sehr hohen Kosten. Aber das Kapitel sollte bis zum Ende des Jahres abgeschlossen sein, wenn die Migration erfolgt ist und wir endgültig vom IT-System des Kantons abgeschnitten werden. Nun müssen wir uns um ein «echtes» Spitalinformationssystem kümmern, wie alle anderen Spitäler auch.
Wofür brauchen Sie noch Geld?
Der grösste Anteil ist für bauliche Massnahmen. Wir betreiben immer noch alte, unpraktikable Gebäude, und solange wir noch nicht im Neubau sind, das wird nicht vor 2033 sein, müssen wir diese älteren Gebäude irgendwie am Laufen halten, und das kostet. Weitere kleinere Anpassungen sind zudem notwendig im Zusammenhang mit der Ambulantisierung. Wir haben ja einige Regionalspitäler, die zwar als Akutnotfallspital geschlossen wurden, aber als Standorte auch mit Betten weiterbetrieben werden. Die müssen wir in ihrer Infrastruktur so ausbauen, dass sie zukünftig effektiv als Gesundheitszentren betrieben werden können.
Was ist das Ziel mit den Gesundheitszentren?
Sie müssen für den Publikumsverkehr gestaltet werden und auch für mögliche Partner attraktiv sein, beispielsweise für die Spitex oder Spezialsprechstunden.
Noch einmal zu den Kosten und Erlösen. Wo liegen die Hebel, um mehr zu verdienen oder Verluste zu reduzieren?
Wir können uns die Leistungen nicht aussuchen, da wir einen gesetzlichen Leistungsauftrag haben, den wir erfüllen müssen: Die Sicherstellung der spezialisierten Grundversorgung. Das ist im Prinzip alles mit Ausnahme der hoch spezialisierten Medizin. Wobei wir auch hier einige Leistungsaufträge haben, da wir ja ein Lehr- und Forschungsspital sind. Es gibt eine Reihe von Kliniken im Kanton und an den Kantonsrändern, die sich eher auf die einfachen Fälle konzentrieren und uns die teuren, schweren Fälle überlassen. So gerät man schnell in eine Unterfinanzierung, wenn man dieselbe Pauschale abrechnet.
Wie war die Auslastung bei Ihnen zuletzt?
Im letzten Jahr hatte wir eine Flaute bei Patientinnen und Patienten, die über das übliche Mass hinausging; wir hatten mehrere Monate Belegungsgrade von unter 80 Prozent. Da sparen sie ein wenig bei den Materialkosten, aber das Personal muss voll entlöhnt werden, wenn man es nicht flexibel einsetzen kann.
Sie könnten Betten schliessen?
Wenn Sie nur einzelne Betten schliessen, hat das keinen Effekt, es müssen schon ganze Stationen sein und das ist schwierig.
Wie sehen Sie langfristig den Schwerpunkt Ihrer Arbeit?
Unsere Schwerpunkte haben wir in unserem Vierjahresplan festgelegt. Ein zentrales Ziel ist, die Effizienz zu steigern.
Und kurzfristig?
Akut suchen wir einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin für unseren Generaldirektor, der in Frühpension geht, und auch eine neue Pflegedirektorin oder einen Pflegedirektor. Das ist jetzt die grösste kurzfristige Herausforderung.
Das Swiss Medical Network hat im Jurabogen mit dem Réseau de l’Arc ein Modell zur integrierten Versorgung gestartet. Sie sitzen dort im Verwaltungsrat. Ist das das Modell der Zukunft?
Ich bin zum einen im Verwaltungsrat des Réseau de l’Arc und zum anderen Präsidentin des Schweizer Forums für integrierte Versorgung. Ich bin also absolut dafür, dass die verschiedenen Behandlungssilos, die wir heute haben, aufgebrochen werden. Die Behandlungen müssen fluider werden.
Wie meinen Sie das?
Es geht mir besonders um die Behandlung älterer Menschen, die den Grossteil der Patientenschaft in den Spitälern stellen. Diese Menschen haben vielfältige und vielschichtige Gesundheitsprobleme. Da geht es nicht einfach nur um einen Armbruch oder einen entzündeten Blinddarm. Diese Menschen brauchen verschiedenste Arten von Gesundheitsdienstleistungen, aber häufig werden sie sofort ins Spital überwiesen. Das ist ein Zeichen der Hilflosigkeit. Und ein Ausdruck, dass das Versorgungsnetz um diese Menschen herum nicht funktioniert. Die Spitaleinweisung ist häufig sinnlos, teuer und auch nicht immer die beste Lösung.
Wofür plädieren Sie?
Wir sprechen uns in der integrierten Versorgung dafür aus, dass man diese Menschen eng begleitet und instabile Zustände oder Entgleisungen entweder verhindern kann, oder frühzeitig bemerkt und dann so früh wie möglich interveniert. Die Überweisung ins Spital sollte dann immer nur die äusserste Massnahme sein. Um vielleicht die schlimmste Infektion zu beseitigen und zur Stabilisierung, bevor sie wieder so rasch wie möglich ins nachsorgende Umfeld zurückgeführt werden. Es fehlt an einem flächendeckenden, effizient organisierten nachsorgenden Umfeld.
Müsste man nicht viel mehr Kräfte in die Prävention investieren, so wie es das Réseau de l’Arc versucht?
Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich jetzt unbeliebt mache: Die Primärprävention, also das Bestreben, die Leute so lange wie möglich gesund zu halten, ist wunderbar, aber löst nicht die Probleme, sie verschiebt sie nur nach hinten. An irgendwas sterben wir alle. Und wir sterben alle in der Regel nicht gesund. Prävention in integrierten Versorgungssettings sollte darauf abzielen, Entgleisungen oder Zustandsverschlimmerungen zu vermeiden, in dem alle Versorgungspartner aufeinander abgestimmt kooperieren.
Versuchen Sie in Freiburg in diese Richtung zu gehen?
Ja, in Freiburg möchten wir den partnerschaftlichen Weg gehen. Wir wollen mit den anderen Gesundheitspartnern, den Pflegeheimen, der Spitex und den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten eng zusammenarbeiten, in erster Linie über Gesundheitszentren. Patientinnen und Patienten sollen in die Gesundheitszentren kommen und dort eine Vielfalt an Behandlungsmöglichkeiten vorfinden. Und diese unterschiedlichen Gesundheitsdienstleister müssen dann auch untereinander kommunizieren.
Werden diese Zentren die Rolle des Hausarztes übernehmen?
Immer mehr Menschen haben überhaupt keinen Hausarzt mehr. Viele Faktoren führen dazu, dass wir uns daran gewöhnen müssen, dass es immer weniger Hausärztinnen und -ärzte geben wird.
Der Trend geht in Richtung Ambulantisierung. Mit EFAS wird dieser Trend noch verstärkt. Was bedeutet das für das Spitalwesen?
Es ist klar, die Zukunft der Medizin ist ambulant. Allerdings ist in dieser Zukunft die Rolle des Spitals noch nicht restlos geklärt. Denn es gibt zwei gegenläufige Philosophien. Die eine lautet: Das Spital macht alles. Weil ich immer weniger Hausärzte habe, kommen die Menschen direkt in den Notfall und bleiben auch viel länger im Spital, weil der Langzeitpflegebereich an Personalmangel leidet. Das heisst, das Spital wird Gesundheitshub für allerlei Leistungen und muss sich entsprechend aufstellen. Infrastrukturell und personell.
Und die andere Philosophie?
Dort macht ein Spital nur das, was alle anderen nicht können. Das heisst, das Spital ist der Ort, wo Menschen behandelt werden, die eine Rundum-die-Uhr-Versorgung in einem hoch technologisierten Umfeld benötigen. Und für alles andere sollten niedriger installierte oder weniger institutionalisierte Einrichtungen oder Organisationsformen besorgt sein. Das ist eher mein Ansatz.
Also ein Downsizing der Spitäler?
Ich würde es Fokussierung nennen. Ich hätte die Spitäler gerne auf den Punkt, mit kurzen Aufenthaltsdauern, wirklich hoch konzentriert auf das, was es wirklich braucht. Und dafür drumherum ein grösseres Feld an Nachsorgeinstitutionen. Wenn wir ehrlich sind, haben wir heute Hightech-Bastionen, in denen die Leute bloss im Bett liegen, während sie genauso gut mit entsprechender Verpflegung zu Hause liegen könnten. Und die zum Teil, weil es nicht optimal organisierbar ist, mehrere Tage auf eine Untersuchung oder Behandlung warten müssen. Deshalb: Wir sollten mehr Geld investieren in dieses ausserspitalische Umfeld. Und den Menschen aufzeigen, dass sie dort gut versorgt sind. Dass sie zu Hause mit Spitex oder mit digitalen Möglichkeiten, Stichwort Hospital at Home, gut versorgt und überwacht werden. Man muss nicht im Spital liegen, um den Blutdruck zu messen. Gerade die Qualität der Spitex wird heute doch massiv unterschätzt.
Beschäftigt Sie das Thema künstliche Intelligenz im Spital?
Ja, absolut. Aber es ist einfach noch nicht ganz klar, wo die künstliche Intelligenz wirklich Sinn macht und wo sie einfach nur ein Buzzword ist. Neue Technologien werden grundsätzlich kurzfristig über- und langfristig unterschätzt. Und ich glaube, aktuell überschätzt man sie eher. Die Frage ist, ob es einen Knall braucht, sodass man die KI unvermittelt einsetzten muss oder ob es eher eine schleichende Transformation wird. Aber ohne Zweifel wird es zu grossen Veränderungen mithilfe der KI kommen.
Und dann vielleicht auch ein intelligentes EPD?
Das wäre zu begrüssen, das EPD ist falsch aufgesetzt worden. Es wurde als PDF-Friedhof konzipiert.
Die Schweizerische Akademie der medizinischen Wissenschaften hat einen Bericht über ein nationales Gesundheitsgesetz publiziert. Was halten Sie davon?
Das grosse Thema ist die Rolle der Kantone. Es gibt Bestrebungen von verschiedenen Seiten, den Kantonen ein wenig «in die Waden zu beissen». Wie beispielsweise die Forderung, dass die Spitalplanung dem Bund übertragen werden soll.
Ihre Meinung dazu?
Ich kann diese Forderung durchaus nachvollziehen, weil die Spitalplanung mittlerweile wirklich sehr komplex geworden ist. Allerdings hat der Bund aktuell keine rechtliche Grundlage, um aktiv zu werden. Der Bund darf die Sozialversicherung regeln, aber er hat keinen gesetzlichen Auftrag, das Gesundheitswesen zu beplanen oder zu steuern. Die Schweiz ist zwar unglaublich vielfältig, aber global gesehen sind wir doch sehr klein. Dafür leisten wir uns sehr viel. Wir haben fünf Unispitäler und dazu kommen noch etwa fünf universitäre Lehr- und Forschungsspitäler. Ich denke, es muss eine Weiterentwicklung geben. So wie bisher sollte es nicht weitergehen, daher unterstütze ich ein nationales Gesundheitsgesetz.