Eine Wunde professionell zu versorgen ist eine Herausforderung, auch für Pflegekräfte in der ambulanten und stationären Versorgung. Veränderungen wahrzunehmen, Entscheidungen zu treffen und entsprechend zu handeln – hierzu ist oft die Meinung und Empfehlung von zertifizierten Wundexpertinnen notwendig, die den Patienten jedoch nicht immer selbst aufsuchen können.
Pflegenden mit Expertenwissen aus der Ferne zu helfen, ist eine der zentralen Ideen hinter der Pflegebrille. Die Datenbrille nutzt Augmented-Reality-Technologie, um Informationen direkt in das Sichtfeld der Pflegenden einzublenden und erlaubt es, online mit Fachleuten zu kommunizieren, gleichzeitig aber beide Hände für die Pflegtätigkeit frei zu haben.
Seit 2016 hat ein vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördertes Verbundprojekt Potenzial und Einsatzmöglichkeiten der Pflegebrille untersucht. Ende Oktober ist die Projektphase mit vielversprechenden Ergebnissen zu Ende gegangen. Ein Folgeprojekt ist geplant.
Pflegebrille in verschiedenen Pflege-Szenarien erprobt
«Wir haben verschiedene Szenarien erprobt, in denen die Pflegebrille die Zusammenarbeit von professionell und informell Pflegenden verbessern kann», sagt Heinrich Recken von der Hamburger Fern-Hochschule (HFH), die ein Partner im Verbundprojekt ist. Grundsätzlich sei die Idee, die Brille in der Wohnung der Patienten zu platzieren, wo sie dann allen an der Pflege Beteiligten hilfreiche Informationen liefert. Das können zum Beispiel Infos zum Medikamentenplan oder die per Spracheingabe oder Video dokumentierten Arbeitsschritte einer anderen Pflegekraft sein.
Infos einblenden lassen und per Gesten steuern
Pflegende tragen die Datenbrille während der Arbeit mit den Patientinnen und Patienten und können sich währenddessen verschiedene Informationen über die Brille direkt ins Sichtfeld einblenden lassen. Zur Steuerung der Brille müssen sie die Arbeit nicht unterbrechen, da durch eine intuitive Gestensteuerung die Hände frei bleiben. «Das ist zum Beispiel beim Wundmanagement oder dem Absaugen von Atemwegssekreten wichtig, wo die Hände steril bleiben müssen. Die Brille muss deshalb auch ohne Hände bedienbar sein», erklärt Recken.
Vernetzung erleichtert die Zusammenarbeit
Am Beispiel des Wundmanagements zeigt sich auch das Potenzial zur Zusammenarbeit zwischen Pflegeprofis und pflegenden Angehörigen, das die vernetzte Digitalbrille bietet: Während der Wundversorgung kann der oder die Pflegende eine Live-Übertragung starten und die eigene Sicht über die eingebaute Kamera auf den Bildschirm eines entfernt sitzenden Wundexperten übertragen. So kann dieser nicht nur die Handgriffe des Pflegenden verfolgen, sondern auch direkt Anleitungen und Hinweise in der AR-Umgebung geben.
Erforschung weiterer Anwendungsmöglichkeiten der Pflegebrille
Die Forscher haben darüber hinaus weitere Einsatzmöglichkeiten erfolgreich getestet. Im Schmerzmanagement können Pflegende gemeinsam mit dem Patienten Schmerzwerte erfassen, bestimmen und in einer Skala festhalten, was wiederum für die individuelle Schmerztherapie nützlich ist.
Zudem haben die Forschungspartner eine Anleitung für das endotracheale Absaugen entwickelt, die von Pflegenden abgerufen und individuell angepasst werden kann. Weitere Einsatzmöglichkeiten werden derzeit in verschiedenen Workshops untersucht, u.a. in der Uniklinik Essen und im Klinikum Nürnberg. Hier werden im kommenden Jahr zudem über einen Zeitraum von drei bis vier Monaten hinweg konkrete Anwendungen der Pflegebrille in der Versorgungspraxis getestet.
Projektpartner
Partner im Forschungsprojekt sind
- die HFH · Hamburger Fern-Hochschule,
- die Ruhr-Universität Bochum,
- die TU Clausthal,
- die iTiZZiMo Simplifier AG,
- Christopherus Intensivpflegedienste,
- das Zentrum für Telemedizin (ZTM).
Im Folgeprojekt «Pflegebrille 2.0» soll das Instrument nun unter Koordination der TU Clausthal zur Marktreife gebracht werden. Weitere Informationen und Kontakt:
https://www.pflegebrille.de
heinrich.recken(at)hamburger-fh.de