Herr Hubert, Sie konnten den Umsatz in Ihren Spitälern 2020 trotz Pandemie steigern. Wie war das möglich?
In der Tat, trotz des mehrwöchigen Verbots von elektiven Eingriffen im Frühjahr haben wir den Umsatz leicht steigern können um 0,5 Prozent auf 622,3 Millionen Franken. Damit liegen wir zwar 7 Prozent unter unserem Budget, aber inzwischen hat sich die Situation normalisiert und es gibt auch wieder Wachstum.
Dann konnten sie viele der verschobenen Eingriffe wieder aufholen?
Nach dem 45-tägigen Stopp gab es für eine kurze Zeit überproportional viele Operationen, aber das war nur eine kleine Welle. Anschliessend war es wieder ein ganz regulärer Betrieb und seit dem vierten Quartal sind wir deutlich gewachsen im Vergleich zum Vorjahr.
Wie man von anderen Spitälern hört, waren die Auswirkungen der Pandemie dort wesentlich gravierender. Was läuft bei Ihnen anders?
Nachdem es uns wieder erlaubt war zu operieren, haben unsere Chirurgen vom 27. April 2020 an ihre Arbeit sofort wieder aufgenommen. Aber viele andere Spitäler – öffentliche und private – waren noch bis September im Covid-Modus. Bei vielen hat sich über Monate fast nichts getan. Wir sind da sehr agil. Wenn Herr Berset sagt «Stopp», dann hören wir auf und wenn er sagt «Go» machen wir sofort weiter.
Wo sehen sie eine eingeschränkte Agilität in anderen Spitälern?
Die sehe ich besonders in einigen Unispitälern. Dort ist man sehr unflexibel. Ein Pfleger oder eine Pflegerin, die dort in der Urologie arbeitet, kann nicht auf der Notfall-Station eingesetzt werden. Will man diese Personen versetzen, kommt gleich der Personalausschuss oder die Gewerkschaft. Am Unispital in Genf hat man für die zweite Welle über 300 Personen neu eingestellt. Das ist doch verrückt. Wir haben auch Covid Patienten, aber konnten durch interne Verlagerungen der Kapazitäten mit dem bestehenden Personal auskommen.
Also alles wieder ganz normal bei Ihnen?
Absolut! Und positiv ist zudem: Wir konnten viele ausgezeichnete Ärzte einstellen im 2. Halbjahr 2020, die unzufrieden waren, wie in ihrem bisherigen Spital die Krise bewältigt wurde.
Erhalten Sie Entschädigungszahlungen für das Verbot der elektiven Leistungen im Frühjahr?
Wir haben unsere Kalkulationen nach der Vorgabe von H+ bei den Kantonen eingereicht. Manche haben schon bezahlt, die Mehrheit aber noch nicht. Die Mechanismen sind von Kanton zu Kanton unterschiedlich.
Wie sehen die Zahlen genau aus?
Unbezahlt sind noch 16 Millionen Franken, 4 Millionen Franken wurden bereits gezahlt.
Wenn Ihre Umsätze sogar gestiegen sind, weshalb haben Sie dann eigentlich Anspruch auf Zahlungen der Kantone?
Das Wachstum kam primär durch Akquisitionen im Vorjahr zustande. Organisch resultierte ein leichtes Minus. Der Lockdown im März und April 2020 hatte also einen messbar negativen Einfluss.
Wie ist die Stimmung in Ihrer Belegschaft?
Ist das Personal nicht stark überlastet?
Nein, es gibt keinen allgemeinen Stress. Die Leute sind mehrheitlich glücklich, wenn sie im Notfall arbeiten und etwas los ist. Zudem haben wir sehr schnell entschieden, eine Prämie zu zahlen. Das war im Dezember. 500 Franken für jeden Mitarbeitenden als Anerkennung für die besonderen Umstände. Bei den öffentlichen Spitälern diskutieren sie jetzt erst, ob überhaupt eine Prämie gezahlt wird.
Dann ist Ihre Personalabteilung offensichtlich sehr schnell.
Wir haben keine separate HR-Abteilung, sondern jede Einheit ist für die Personalplanung verantwortlich. Ich kümmere mich um die Personalangelegenheiten für mein Team, mein Team kümmert sich um ihre Mitarbeiter etc. Wir sind agil, unsere Mitarbeitenden sind es auch. Das ist ein grosses Kompliment an unsere Belegschaft.
Mit der Krise ist auch der Druck gestiegen dem Gesundheitspersonal ein höheres Gehalt zu zahlen. Wie sieht das bei Ihnen aus?
Eine Pflegerin, die bei uns anfängt, verdient ungefähr 6000 Franken, das ist kein schlechtes Gehalt. Und das 13 Mal im Jahr. Dabei zahlen wir sogar 20 Prozent weniger als die öffentlichen Spitäler. Trotzdem haben wir ausreichend Personal. Das Geld ist nicht immer das Wichtigste. Was aus meiner Sicht in öffentlichen Spitälern häufig fehlt, ist die Anerkennung und die Art und Weise wie intern Entscheidungen getroffen werden. Zudem bieten wir Aufstiegschancen für gute Leute. Sie müssen nicht wie in öffentlichen Spitälern warten, bis ihr Chef in Pension geht, damit sie eine Stufe nach oben klettern. Und wir bieten gerade Frauen tolle Aufstiegschancen. 13 unser 22 Spitaldirektoren sind weiblich.
Wie beurteilen Sie das Krisenmanagement der Politik?
Solange der Bund die Zügel in der Hand hatte, wie im Frühjahr 2020, lief es sehr gut. Natürlich gab es auch Fehler, aber das war eine besondere Situation, das kann passieren. Alles lief sehr pragmatisch und klar. Mit der Rückgabe der Verantwortung an die Kantone hat die Katastrophe begonnen. Jeder macht, was er will, es ist nicht mehr pragmatisch, sondern politisch. Es ist wirklich ein Chaos. Jeder Kanton hat seine eigene Impfstrategie, so funktioniert es in einer Krise einfach nicht. Und dann die Sache mit der Taskforce.
Was meinen Sie konkret?
Wenn Sie eine Taskforce mit Experten haben, dann sollten sie als Politiker auch machen, was die Taskforce empfiehlt.
Waren die Massnahmen in der zweiten Welle zu spät?
Ich war immer gegen diese ganzen Massnahmen. Am Anfang war der Stopp vom Bundesrat in Ordnung, da wusste man noch nicht genau, was auf einen zukommt. Und man hat dann die Anzahl der Intensivbetten rasch ausgebaut, die Armee hat Notspitäler eingerichtet. Aber für die zweite Welle wurden keine zusätzlichen Betten-Kapazitäten geschaffen, stattdessen hat man die Geschäfte geschlossen. Für mich macht das keinen Sinn.
Wenn Sie das hätten entscheiden müssen, hätten Sie die Restaurants und Geschäfte nicht geschlossen und Veranstaltungen und Treffen von grösseren Gruppen erlaubt?
Ja. Ich hätte in die Spitäler investiert, um die Kapazitäten bereitzuhalten. Aber wenn Sie sich die Länder im Vergleich anschauen – ob mit harten oder geringen Massnahmen, die Zahlen sind doch überall ganz ähnlich. Ungefähr 1300 Tote auf 1 Million Einwohner, und die Verstorbenen sind zur grossen Mehrheit über 80 Jahre alt. Es hat einfach keiner den Mut zu sagen, ja, die Lebenserwartung sinkt auch ohne Covid rasch, wenn man älter als 80 Jahre ist.
Aber es sind nicht nur alte Leute, auch jüngere Menschen sterben oder erkranken schwer.
Nur ganz wenige junge Menschen sterben – laut BAG entfallen auf unter 50-jährige 0,5% und unter 60-jährige 2%. Jeder Fall ist natürlich ein grosses Unglück, aber es gibt auch in vielen anderen Bereichen Unglücke. Sie können bei einem Verkehrsunfall sterben oder in einer Lawine. Aber man schliesst doch in solch einer Situation nicht das ganze Land. Die psychischen Auswirkungen auf die Menschen sind enorm, Leute verlieren ihre Jobs und die ganze Wirtschaft ist auf Talfahrt.
Wie gross ist die Impfbereitschaft bei Ihren Mitarbeitenden?
Viele wollen nicht, weil sie die Krankheit als wenig bedrohlich einschätzen. Natürlich muss man Menschen mit Gesundheitsproblemen schützen, und es ist klar, dass Covid-19 viel ansteckender ist als eine Grippe. Mit einer guten Gesundheit muss man sich aber keine Sorgen machen, schwer an Covid-19 zu erkranken oder gar zu sterben. Zudem gibt es inzwischen gute Medikamente, um die Krankheit zu mildern. Bei uns sind keine Patienten oder Mitarbeitende an Covid-19 gestorben.
Welche Auswirkungen von Covid-19 auf das Gesundheitswesen erwarten Sie?
Ich befürchte, dass Covid-19 wie ein Bremsklotz für viele Effizienzmassnahmen wirkt. Es ist ja beispielsweise kein Geheimnis, dass wir in der Schweiz zu viele und zu viele kleine Spitäler haben, die man eigentlich nicht braucht. Jetzt ist es erst einmal ein Tabu, über die Schliessung von Spitälern zu sprechen. Es ist doch klar, dass wir in Zukunft weniger stationäre Betten brauchen. Die Zukunft liegt in ambulanten Zentren.
Wobei so eine Pandemie wieder passieren kann und dann braucht man die Betten eventuell noch.
Ja, man sollte investieren in die Ausbildung von Notfallpersonal und auch in zusätzliche Notfallbetten mit Sauerstoffversorgung. Aber ich befürchte, dass die Krise dazu genutzt wird, zu viel Geld in nicht effiziente Spitäler zu stecken. Wenn Sie heute sehen, dass das Universitätsspital in Genf (HUG) rund 300 Millionen Franken jährlich vom Kanton erhält und das Unispital in Zürich nur etwa 20 Millionen, dann wissen Sie, wo man effizient arbeitet und wo nicht.
Sie plädieren und planen schon lange für ein integriertes Gesundheitssystem auf lokaler Ebene. Was meinen Sie damit konkret?
Wie müssen endlich zu einem System kommen, bei dem Ärzte nicht auf Basis der behandelten Patienten bezahlt werden, sondern pro Kopf der Teilnehmer im System. Im Moment haben die Ärzte einen Anreiz, so viele Leistungen wie möglich und das möglichst häufig zu erbringen. Angenommen die Ärzte in einer Region erhalten zusammen 200 Millionen Franken pro Jahr für die Gesundheitsversorgung dieser Region, dann hätten sie einen Anreiz so effektiv wie möglich zu arbeiten, denn was sie nicht ausgeben, steigert ihr Einkommen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Wenn Sie mit einem medizinischen Problem mehr als einen Arzt aufsuchen, wird der zweite Arzt alle Basisuntersuchungen noch einmal machen: Röntgen, Ultraschall, Blutanalyse, was auch immer. Denn er verdient daran. In einem integrierten System wird der zweite Arzt einfach auf die bereits gemachten Bilder und Analysen zurückgreifen. Das ganze System profitiert: Der Patient, die Versicherung und der Arzt. Zudem haben die Ärzte ein Interesse an präventiven Massnahmen, je mehr Menschen gesund bleiben, desto weniger Kosten entstehen durch Behandlungen und je mehr Gewinn bleibt für die Ärzte. Im heutigen System agieren aber alle als Einzelpersonen mit unterschiedlichen Interessen und damit zulasten der Allgemeinheit.
Wo wollen Sie solch ein System einführen?
Wir werden mit dem Hôpital du Jura bernois beginnen, weil wir dort im Prinzip alles unter einem Dach haben: Hausärzte, medizinische Zentren, Spitex, Spitäler, Psychiatrien und Pflegeheime. Jetzt fehlt nur noch ein Versicherungspartner. Im nächsten Schritt werden wir mit einer Versicherung einen Healthplan (integriertes Versicherungsprodukt) erarbeiten und den 250 000 Menschen in der Jura-Region anbieten.
Wie wird der Healthplan aussehen?
Das Leistungsangebot wird zunächst beschränkt sein auf das Hôpital du Jura bernois und ein Partnernetzwerk. Dazu wird auch ein Universitätsspital gehören, das Inselspital zum Beispiel, für die speziellen, schweren Fälle.
Was ist mit Zahnmedizin, werden Sie das auch anbieten?
Das ist eine interessante Frage. Ich bin davon überzeugt, dass es dazu gehören sollte, denn viele Erkrankungen stammen von Problemen aus der Mund- und Kieferhöhle. Ähnlich wie psychische Erkrankungen zu physischen Problemen führen können und umgekehrt physische Erkrankungen häufig zu psychischen Problemen führen. In einem integrierten System gehört das zusammen. Offensichtlich denken auch die Verantwortlichen bei Migros in diese Richtung. Sie arbeiten ja auch an einem integrierten System mit Medbase, Apotheken und sie haben jetzt auch Zahnarztpraxen erworben.
Ist das ihre erste Priorität, die Entwicklung von integrierten Systemen oder werden Sie auch weitere Spitäler übernehmen?
Unsere Priorität liegt in der Tat auf den Regionen, welche ein Spital haben. Dort müssen wir alle anderen Stücke des Puzzles zusammenbekommen. In Zürich haben beispielsweise die Ladies Permanence eröffnet, und wir besitzen ein medizinisches Zentrum in Oerlikon. Jetzt sind wir auf der Suche nach anderen medizinischen Zentren, wir werden eventuell eine Spitex kaufen. Wenn man die Kosten reduzieren will, erreicht man das insbesondere über die Senkung der Aufenthaltsdauer im Spital, dazu brauchen wir die Spitex.
Wann werden Sie den ersten Healthplan anbieten können?
Unser Ziel ist es, am 1. Januar 2022 das neue System in einer ersten Region anbieten zu können.