Televisiten für die Intensivmedizin – ein Charité-Projekt

Publiziert

An der Charité-Universitätsmedizin Berlin wird seit einigen Monaten ein telemedizinisches Zentrum der Intensivmedizin

etabliert. Durch eine strukturierte Implementierung von Qualitätsindikatoren der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) sollen Langzeitfolgen der Intensivmedizin verhindert werden.

 

Zur Durchführung einer Televisite, mit deren Hilfe Qualitätsindikatoren der Intensivmedizin und intersektorale Qualitätsindikatoren implementiert werden, wurde an der Charité-Universitätsmedizin Berlin eine zentrale telemedizinische Intensiveinheit (Tele-ITS) aufgebaut, die eine standortunabhängige patientenbezogene Kommunikation zwischen der Tele-ITS und den primär behandelnden «Remote Centers» – Intensivstationen der Kliniken des regionalen Netzwerks – durch den Einsatz von leistungsfähigen audiovisuellen Kommunikationsmitteln gewährleistet. Die Tele-ITS ermöglicht den Behandlungsteams der angebundenen Intensivstationen einen gesicherten standortunabhängigen Zugriff zur Maximaltherapie und bestmögliche medizinische Versorgung durch eine dauerhafte Erreichbarkeit von Experten der Intensivmedizin und -pflege. Gleichzeitig erhalten sie eine Unterstützung bei der Etablierung bzw. Aufrechterhaltung von ressourcenintensiven und qualitativ hochwertigen intensivmedizinischen Behandlungen.
Der Aufbau dieser Tele-ITS ist ein essenzieller Bestandteil von Enhanced Recovery After Intensive Care (ERIC) – eine vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) geförderte neue Versorgungsform aus dem Themenfeld «Versorgungsmodelle unter Nutzung von Telemedizin, Telematik und E-Health». Das Ziel von ERIC ist die Prävention von Langzeitfolgen einer intensivmedizinischen Behandlung durch die qualitative Verbesserung intensivmedizinischer Versorgungsprozesse. Dies soll durch eine flächendeckende und nachhaltige Implementierung der Qualitätsindikatoren auf einem signifikant höheren Niveau geschehen.

Tägliche Televisiten
Dazu führen ausgebildete medizinische und pflegerische Experten der Tele-ITS im Rahmen einer Cluster-randomisierten klinischen Versorgungsstudie täglich multiprofessionelle Qualitätsindikatoren-Televisiten bei Patienten der gesetzlichen Krankenversicherung durch.
Ein Screening im Rahmen von Nachsorgeuntersuchungen der beteiligten Patienten zeigt mögliche intensivstationäre Folgen, die sich als Post Intensive Care Syndrome (PICS) und/oder Chronic Critical Illness (CCI) manifestieren. Im Bedarfsfall können Patienten so einer gezielten Rehabilitation zugeführt werden. Dazu finden drei und sechs Monate nach Entlassung von der Intensivstation Nachfolgeuntersuchungen statt, um ein strukturiertes Bild des körperlichen, kognitiven und psychischen Befindens der Patienten zu erhalten.

Qualitätsindikatoren
Nachweislich trägt ein patientenzentrierter intensivmedizinischer Behandlungsprozess auf der Intensivstation dazu bei, das klinische Outcome kritisch kranker Patienten zu verbessern. Dabei handelt es sich um medizinische und pflegerische Massnahmen, die auf das gesamte Behandlungsteam – also Pflegekräfte, andere Gesundheitsberufe und Mediziner – gleichermassen zutreffen. Im Zentrum dieser Televisite steht die Besprechung der teilnehmenden Patienten entlang der Qualitätsindikatoren. Es geht dabei also um eine bereits bekannte und bewährte klinische Methode, deren Innovation in der Überbrückung der räumlichen Distanz und in der inhaltlichen Fokussierung auf die Qualität der Behandlungsprozesse liegt.

Personelle Besetzung der Tele-ITS
Die personelle Besetzung besteht aus einem Team aus Fachärzten mit Zusatzbezeichnung Intensivmedizin und Pflegefachkräften mit einer Fachweiterbildung für Pflegende in der Intensivmedizin und Anästhesie bzw. einer langjährigen Berufserfahrung. Beide Berufsgruppen arbeiten auf einer grossen anästhesiologischen Intensivstation mit einem PACUBereich und waren bereits in vorherigen verschiedenen Projekten an der Qualitätsverbesserung in der Intensivmedizin und -pflege beteiligt.
Neben kommunikativen Kompetenzen sind Fachwissen und eine klinische Expertise der Intensivpflegefachkräfte gefragt. Deswegen arbeitet das Tele-ITS Team nur mit einem Teil seiner Regelarbeitszeit – in der Regel 30–50 Prozent des Stellenanteils – in der Tele-ITS und mit dem anderen Teil weiter in der unmittelbaren Versorgung kritisch kranker Patienten.

Technische Ausstattung der Tele-IST und der Kooperationskliniken
Neben einer Audio-Video-Kommunikationslösung (AV-Kommunikation), die eine standortunabhängige und dauerhafte Erreichbarkeit der Tele-ITS für die angebundenen Intensivstationen gewährleistet, gehört ein schallsicherer und verschliessbarer Raum mit mindestens zwei Visiten-Arbeitsplätzen dazu, die mit einer leistungsfähigen Breitbandverbindung ausgerüstet sind und über eine redundante Kommunikationsstruktur verfügen.
Die Projektmitarbeiter haben überdies diverse telemedizinische Lösungen, unter anderem in der telemedizinischen Intensivstation des Children’s Hospital of Pittsburgh (Pennsylvania, USA) besucht und kennengelernt.

Ablauf der Qualitätsindikatoren-Visite
Jede Intensivstation, die während der Intervention an der Qualitätsindikatoren-Visite teilnimmt, hat ein festes Terminzeitfenster erhalten. Zu den Vorbereitungsaufgaben der angeschlossenen Intensivstation gehört eine Dokumentation der operationalisierten Qualitätsindikatoren auf täglicher Basis. Kurz vor Beginn des Zeitfensters erfolgt durch das anwesende Tele-ITS-Tandem ein Anruf auf der betreffenden Intensivstation. Das Tandem identifiziert sich und fragt, ob es die eingeschlossenen Patienten visitieren kann. Nachdem die angeschlossene Intensivstation eine Freigabe des Verbindungsaufbaus gegeben hat, erfolgt durch die Tele-ITS der datengesicherte und verschlüsselte Verbindungsaufbau mit der mobilen Einheit. Anschliessend wird die Verbindungsqualität geprüft und die einwandfreie Audio-Video-Kommunikation vom bettseitigen Behandlungsteam bestätigt. Die Kamera wird durch das TeleITS-Team initial auf das bettseitige Behandlungsteam gerichtet. Anschliessend findet die strukturierte Visite des teilnehmenden Patienten zu allen Qualitätsindikatoren der Intensivmedizin statt. Das Tele-ITS-Team beendet die Visite mit der Frage, ob es noch spezifische medizinische oder pflegerische Fragestellungen gibt, die besprochen werden sollten. Die Erstvisite bei neu eingeschlossenen kritisch kranken Patienten dauert etwa 20 Minuten, Folgevisiten sind im Umfang kürzer.

Aufgaben des Tele-ITS-Tandems
Die Aufgaben des Tele-ITS-Tandems während der Qualitätsindikatoren-Televisite sind vielfältig: Zum einen muss es in der Gesprächseröffnung und im Verlauf eine kooperative und angstfreie Kommunikation ermöglichen, denn das bettseitige Behandlungsteam begreift die Televisiten nicht nur als willkommene Unterstützung, sondern könnte in Einzelfällen auch als externe Einmischung empfunden werden. Die Kollegen in der Tele-ITS müssen Raum für medizinische, pflegerische und sonstige Belange lassen, die die angeschlossenen Intensivstationen ansprechen, dabei aber gleichzeitig die Konsultation auf den Kern der Televisite richten: die Qualitätsindikatoren. Zum anderen muss in Echtzeit die Steuerung des Cockpits erfolgen, um den Patienten zu sehen, Beatmungssettings und dergleichen zu besprechen – sich also während der Gesprächssituation einen Überblick über den Ist-Zustand des Patienten zu verschaffen. In der Nachbereitung der Qualitätsindikatoren-Televisite bewertet das Tele-ITS-Tandem anhand der vorliegenden Qualitätsindikatoren-Dokumentation sowie der zusätzlichen Informationen, die aus der Televisite generiert wurden, ob die Qualitätsindikatoren für den beobachteten Zeitraum erfüllt worden sind.

Funktion der Pflegefachkräfte in der Qualitätsindikatoren-Televisite
Kernaufgabe der Intensivpflegefachkräfte im Projekt Enhanced Recovery after Intensive Care (ERIC) ist die Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der Qualitätsindikatoren-Televisite gemeinsam mit den Intensivmedizinern der Tele-ITS. Da multiprofessionelle Visiten in der Intensivmedizin noch nicht selbstverständlich sind, , übernehmen die Pflegefachkräfte der Tele-ITS die Funktion, bettseitige Pflegefachkräfte aktiv anzusprechen und sie einzuladen, ihre Sicht der Versorgungssituation hinsichtlich der Qualitätsindikatoren darzustellen. Darüber hinaus stehen sie den angeschlossenen Intensivstationen während der Projektphase für Wunschkonsile zu spezifischen pflegerischen Fragen, die ausserhalb der Qualitätsindikatoren verortet sind, zur Verfügung.

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Bezugsquellenverzeichnis