Welche Themen beschäftigen private Pflegeheime aktuell am meisten?
Ganz oben steht ganz sicher die Finanzierung beziehungsweise die Frage, wie ein Heim noch wirtschaftlich arbeiten kann, dann das Dauerthema Personal und generell sicherlich auch die demografische Entwicklung und die damit verbundenen Veränderungen.
Welche sind das?
Unsere Gesellschaft wird immer älter. Die Folge ist ein wachsender Bedarf an Betreuung und Pflege. Gleichzeitig verändern sich auch die Anforderungen. Denn die Generation der Babyboomer, die jetzt ins Rentenalter kommt, hat andere Vorstellungen von Selbstbestimmung und Autonomie als ihre Vorgänger. Flexibilität, Komfort und Individualisierung haben einen ungleich grösseren Stellenwert als je zuvor. Daher braucht es mehr Zwischenlösungen,da Menschen immer später ins Heim gehen.
An welche Zwischenlösungen denken Sie?
Man spricht von intermediären Strukturen, aber mir gefällt der Begriff des betreuten Wohnens besser. Dort wohnen die Menschen noch selbstständig, können aber gewisse Leistungen, die sie im Alter benötigen, einkaufen. Sie erhalten nicht pauschal alle Leistungen wie im Pflegeheim und müssen diese daher auch nicht pauschal bezahlen. Die wichtigsten Leistungen bietet das betreute Wohnen: Soziale Kontakte und Sicherheit. Häufig besteht ja die Gefahr bei älteren Menschen, die in ihrer alten Wohnung bleiben, dass Stürze nicht bemerkt werden oder sie vereinsamen, meist wegen eingeschränkter Mobilität. Demgegenüber bietet das betreute Wohnen enorme Vorteile.
Eine alternative zum betreuten Wohnen ist die Unterstützung durch die Spitex.
Diese ist in vielen Fällen eine gute Lösung, allerdings im Vergleich zum betreuten Wohnen weniger effizient. Beispielsweise wegen der Fahrzeiten für die Spitex-Mitarbeitenden, während bei betreutem Wohnen die Menschen schon gesammelt sind. Auch muss die Spitex immer die bestausgebildeten Mitarbeitenden schicken, damit sie alle notwendigen Arbeiten machen dürfen. Gleichzeitig sind sie dann aber häufig mit Arbeiten beschäftigt, für die sie überqualifiziert sind. Das lässt sich im betreuten Wohnen viel besser organisieren.
Was ist das Hauptproblem bei der Finanzierung der Pflegeheime?
Dadurch, dass die Krankenkassenbeiträge fixiert sind, müssen die Gemeinden und Kantone in den letzten Jahren immer höhere Beiträge für die Finanzierung der Heime aufwenden. Früher haben sich Versicherer und öffentliche Hand die Pflegekosten fünfzig zu fünfzig geteilt, inzwischen ist die öffentliche Hand schon bei fast 60 Prozent.Trotzdemsteigt die Belastung der Krankenversicherungen, weil der Pflegebedarf und die Anzahl der Pflegebedürftigen steigen.
Und das gefällt dem öffentlichen Gemeinwesen gar nicht!
Genau. In der Folge erhöhen die Kantone und Gemeinden den Druck auf die Heime, ihre Wirtschaftlichkeit zu verbessern. Es wird dann gesagt, wir zahlen bis zu einem bestimmten Betrag pro Pflegestunde und wer bei der Wirtschaftlichkeit nicht im Benchmark ist, wird nicht ausfinanziert. In der Konsequenz droht privaten Anbietern die Insolvenz.
Haben nicht viele Heime noch Potenzial, mehr an ihrer Wirtschaftlichkeit zu arbeiten?
Das ist in den meisten Bereichen gar nicht möglich. 70 bis 80 Prozent der Kosten sind Personalkosten. Durch Personalvorgaben vom Kanton können die Heime kaum flexibel beim Personal agieren. Es gibt Mindeststellendotationen, die eingehalten werden müssen, sonst riskieren die Heime ihre Bewilligung. Abgesehen davon wollen die Heime natürlich auch eine hohe Qualität bieten. Und auf der Einnahmenseite besteht die Eigenart der Pflegefinanzierung, dass Heime die Pflege nicht durch andere Ein nahmen decken dürfen. Dies zwingt viele private Anbieter, zusätzliche Einnahmen durch die Restauration oder Hotellerie zu erzielen.
Gilt das für private und öffentliche Heime gleichermassen?
Bei den öffentlichen Heimen besteht häufig eine Defizitgarantie: Dort gleicht die öffentliche Hand Verluste aus. Die Ungleichheit zwischen öffentlichen und privaten Pflegeheimen manifestiert sich etwa, wenn beispielsweise die Stadt Zürich gross ankündigen kann, dem Pflegepersonal jährlich über 27 Millionen mehr zu zahlen. Dann führt das dazu, dass Pflegende ihren Job von privaten in öffentliche Heime verlagern. Für die privaten Heime verschärft sich die Personalsituation zusätzlich, beziehungsweise müssen sie ohne direkte Gegenfinanzierung höhere Löhne zahlen, was das Insolvenzrisiko erhöht.
In welchen Bereichen könnten die Kantonedie privaten Heime unterstützen?
Was für alle Heime gilt: Ich wünsche mir wieder mehr eine Vertrauenskultur und nicht eine Kontrollkultur. Es gibt immer mehr Vorgaben und Kontrollen, das hat schon absurde Auswüchse. Das geht ja bis zu Menüplänen, die man an die Kantone einsenden muss. Oder die Anzahl und Inhalte der Freizeitprogramme.
Aber das ist doch alles zum Wohl der Bewohnenden.
Glauben Sie mir, den Mitarbeitenden der Heime ist sehr wohl am Wohl der Bewohnenden gelegen, damit kennen sie sich am besten aus. Ich verstehe ja, dass die zuständigen Stellen der Kantone sich einfach nur absichern wollen. Aber dies übertreiben sie zunehmend. Neulich hat ein kantonaler Kontrolleur in einem Heim beanstandet, dass ein Bewohner nur eine halbe Bratwurst auf dem Teller hatte, nicht eine ganze. Er hat sich sehr aufgeregt, das sähe doch unmöglich aus, wieso bekomme der Herr nur eine halbe Bratwurst. Es stellte sich aber heraus, dass er schon eine ganze Wurst gegessen hatte und sich noch eine halbe zusätzlich gewünscht hatte. Im Anschluss an den Aufsichtsbesuch kam dann die Auflage, der Betrieb müsse nicht nur grosse Würste anbieten, sondern auch kleine, sodass auf jeden Fall immer eine ganze Wurst auf dem Teller liegt. Also musste man beim Metzger für viel Geld extra kleine Würste bestellen. Da kann man sich doch nur an den Kopf fassen.
Was wären noch Möglichkeiten für private Heime, um ihre Situation zu verbessern?
Eine gute Möglichkeit ist sicherlich, auch ein Angebot für das betreute Wohnen aufzubauen. Dort bestehen keine übertriebenen Vorschriften, beispielsweise gibt es keine Mindeststellendotationen, und durch attraktive Services können zusätzliche Einnahmen generiert werden. Aber ganz leicht ist das Ganze auch nicht. Beträchtliche Kosten entstehen beim Bau, die Wohnungen müssen ja einen gewissen Standard haben für Wohnen im Alter, beispielsweise rollstuhlgängig sein und Lifte besitzen. Mit dem nötigen qualifizierten Personal sind sie dann schnell bei monatlichen Kosten in Höhe von 3000 bis 4000 Franken.
Was für viele ein Problem ist?
Allerdings. Bereits rund 60 Prozent der Bewohnenden von Pflegeheimen müssen Ergänzungsleistungen beziehen. Das hat sich innerhalb der letzten Jahre deutlich gesteigert.
Wo stehen die monatlichen Kosten im Pflegeheim?
Im Durchschnitt bei über 10 000 Franken. Nur ein Drittel davon sind Pflegekosten, getragen durch die Krankenversicherungen und die öffentliche Hand Der Rest muss von den Bewohnenden getragen werden, deshalb benötigen so viele Menschen früher oder später den Zuschuss über Ergänzungsleistungen.
Decken diese Ergänzungsleistungen die Kosten der Heime?
Häufig nur sehr knapp. Die Kantone legen ja die Höhe der Leistungen fest, beispielsweise 180 Franken pro Tag, was bei Kosten von eher über 200 Franken nicht reicht.
Und auf die Strasse setzen möchte man die Bewohnenden ja auch nicht.
Nein, natürlich nicht. Und sie in ein kleineres Zimmer umzuquartieren ist auch unschön. Im Prinzip gibt es dann eine Querfinanzierung der Selbstzahler zu jenen, die ihr Zimmer nicht selber bezahlen können.
Früher waren auch Zwei- oder Mehrbettzimmer normal. Wäre das eine Option?
In den letzten Jahren ist das Einbettzimmer der Standard, alles andere wird von Angehörigen und Behörden kaum akzeptiert. Allerdings werden Mehrbettzimmer in der Branche diskutiert. Sie wären für den Heimbetrieb kostengünstiger. Hier stellt sich jetzt die Frage, ob es gerecht ist, dass jemand der Ergänzungsleistungen bezieht, also vom Staat finanziert wird, genauso Anspruch hat auf ein Einbettzimmer wie die- oder derjenige, der sein Leben lang gespart hat, also auf Konsum verzichtet hat, um im Alter das Heim finanzieren zu können.
Was ist Ihre Antwort?
Ich finde, Zwei- oder Dreibettzimmer müssen für steuerfinanzierte Aufenthalte zumindest diskutiert werden. Zudem gibt es auch positive Effekte. Beispielsweise ist bei dementen Menschen, diese sind bereits die Mehrheit der Bewohnenden in Pflegeheimen, das Alleinsein in der Nacht ein Problem. Hier hat man positive Effekte beobachtet, wenn demente Menschen in der Nacht eben nicht allein im Zimmer sind. Und ausserdem setzt man mit der Einführung von Zweibettzimmern einen finanziellen Anreiz für die Angehörigen, die sagen, wir möchten, dass unser Vater oder unsere Mutter in einem Einzelzimmer liegt und sind bereit, dafür auch einen finanziellen Beitrag zu leisten.
Welche Forderungen haben Sie an die Politik?
Die Umsetzung von EFAS ist enorm wichtig für die Finanzierung der Pflegeheime. Insbesondere um das Problem auszuschalten, dass die Kantone aus rein finanzpolitischen Gründen zu wenig finanzieren. Gestützt auf meine Erfahrungen unterstelle ich der Politik in vielen Kantonen das Kalkül, dass sie bei hohem Budgetdruck keine Skrupel haben, die Kostenbeteiligung um 10 bis 15 Prozent zu senken, weil sie davon ausgehen, dass die Heime sich schon nicht juristisch wehren.
Wie kann EFAS hier helfen?
Weil bei EFAS der Kostenblock als Ganzes definiert wird und dann fixiert wird, wie sich die Parteien, Versicherer und Kantone die Kosten teilen, beispielsweise 50 zu 50 Prozent. Wenn dann die Anforderungen, etwa bei den Personalvorgaben, steigen, wird der Kostenblock grösser, und alle müssen sich an den Mehrkosten nach der Vorgabe des Gesetzes beteiligen.
Wie optimistisch sind Sie, dass es zu einer Einigung über das Gesetz kommt?
Ich bin viel optimistischer als auch schon. Wir haben jetzt die Wintersession vor uns, und beide Räte haben die Bereinigung der Differenzen eingeplant. Der Ständerat ist mit seiner Gesundheitskommission dem Nationalrat einen deutlichen Schritt entgegengekommen. Und umgekehrt der Nationalrat genauso. Daher bin ich so zuversichtlich wie noch nie.
Woran könnte es noch scheitern?
Sorgen bereitet mir die unbelegte Behauptung des Krankenkassenverbands Santésuisse, dass die Prämien dadurch steigen sollen. Dabei geht es doch nur darum, dass die Menschen dort betreut werden, wo es für sie am sinnvollsten ist und nicht dort, wo sie den ein oder anderen Beteiligten am wenigsten kosten. In der aktuellen Situation kostet die Krankenkassen die Pflegestunde durch die Spitex zwischen 50 und 80 Franken, im Pflegeheim knapp 30. So werden viele Menschen häufig ins Pflegeheim gedrängt, weil die Versicherungen sagen, wir finanzieren nur so viel wie es im Pflegeheim kostet, den Rest müsst ihr selbst zahlen. Durch EFAS, eben durch die einheitliche Finanzierung, werden viele dieser Fehlanreize beseitigt.
Welche Themen sind für die privaten Heime noch wichtig?
Sicherlich die Vorlage-Finanzierung des betreuten Wohnens über Ergänzungsleistungen. Damit auch Menschen diese Wohnform in Anspruch nehmen können, die es heute aus finanziellen Gründen nicht können. Die Vorlage dazu wurde vom Bundesamt für Sozialversicherungen ausgearbeitet, man weiss jetzt, wie so ein Modell aussehen könnte. Die Vernehmlassung ist abgeschlossen, und alle Parteien im Parlament haben der Vorlage zugestimmt. Jetzt dauert es allerdings sicherlich noch zwei bis drei Jahre, bis das Gesetz – hoffentlich! – verabschiedet wird.
Warum ist das Gesetz so wichtig?
Weil die Kosten für das betreute Wohnen viel geringer sind als die Kosten in einem Pflegeheim und es für die Menschen eine höhere Lebensqualität hat, noch so lange wie möglich selbstständig zu sein. Wie hoch ist der Unterschied bei den Kosten? Die Gesamtkosten beim betreuten Wohnen umfassen nach unseren Erhebungen maximal zwei Drittel der Kosten im Pflegeheim.
Wie ist der Stand bei der Umsetzung der Abstimmung über die Pflegeinitiative?
Soeben wurde die Vernehmlassung zum Paket 1 abgeschlossen, mit dem die Ausbildung gefördert werden soll. Da wurden der Bund und die Kantone verpflichtet, mit je bis zu 500 Millionen in die tertiäre Zusatzausbildung zu investieren, da braucht es dringend nötige Anpassungen.
Inwiefern?
Wer nach der drei- bis vierjährigen Lehre im Pflegeberuf ein Studium antritt, erhält nur 1000 bis 1500 Franken Lohn pro Monat. Das reicht ja nie und nimmer fürs Leben. Dieses Defizit soll behoben werden. In allen anderen Branchen ist es üblich, dass man seinen Lohn behält, den man vorher hatte, wenn man nach einer drei- oder vierjährigen Lehre eine tertiäre Ausbildung beginnt.
Aber nicht alle Pflegenden sind nur durch Geld motiviert.
Das stimmt, darum bemühen sich die Heime natürlich, an den weichen Faktoren zu arbeiten. Für ein gutes Betriebsklima und gesunde Führungskultur zu sorgen, auf individuelle Wünsche des Personals einzugehen und je nach Bedürfnis etwa mehr Ferien zu geben.
Jetzt haben wir über viele Probleme der Branche gesprochen. Etwas Positives zum Schluss?
Ich würde mir wünschen, dass diese Branche nicht immer nur negativ betrachtet wird. Wenn man immer sagt, es ist alles so schlecht, zieht das immer auch die ganze Branche hinunter und macht das Arbeitsumfeld nicht eben attraktiv. Ich würde mir wünschen, dass wir viel mehr das Positive und die Sinnhaftigkeit der Gesundheitsberufe in den Mittelpunkt stellen. Denn es sind wirklich tolle Berufe.