Vermutlich haben etliche von ihnen das Delta-Virus von der Europameisterschaft im «Bodypack» nach Hause getragen. Fielen doch in praktisch allen Austragungsländern sämtliche Schutzund Sichherheitsmassnahmen der rundledernen «Europhorie» zum Opfer und feuchtfröhlich feiernde Fans einander lautstark und aerosolschleudernd um den Hals. Nun blicken wir auf den Inkubationsticker, zählen die steigenden Infektionsfälle und rechnen uns aus, dass sich diese evidenzbasiert in zwei plus zwei Wochen (die ersten bis zu Erkrankung, die zweiten bis zur Hospitalisierung) in steigenden Spitaleinweisungen niederschlagen werden. Soweit, so absehbar. Da braucht es keinen Penalty, ja nicht einmal eine Verlängerung. Denn freundlicherweise ist das Wetter unfreundlich und treibt die Menschen in die Innenräume, wo wir den herbstlichen Ansteckungszyklus bereits feldstudienhaft vorsimulieren können.
Mit langen Gesichtern schauen wir auf unsere Spitäler, halten die Luft an (wissend, dass das nicht viel nützt) und fragen uns, ob sie für eine dritte Welle gerüstet sind.
Die Antwort lautet, wie immer (wenn sie nicht «42» heisst): Das kommt darauf an. Denn unseren Spitälern geht es wie den Covid-Erkrankten. Die meisten haben die Krise einigermassen überstanden. Nicht wenige haben nur wenig davon gespürt, es gab sogar ein paar «symptomlose», an denen die Pandemie spurlos vorüberzog. Ein erklecklicher Teil benötigte dagegen finanzielle Sauerstoffzufuhr in der Form von Covid-Subventionen und einige hängen immer noch am Tropf der Staatsfinanzen. Und dann gibt es noch die Long-Covid-Fälle. Spitäler, die siechen und kränkeln und nicht aus dem Tief herausfinden, obwohl die Covid-Infektion vorüber, sprich, die Anzahl hospitalisierter Covid-Patienten verschwindend klein geworden ist.
Diese Spitäler zeichnen sich dadurch aus, dass sie sowohl unter Personal- als auch unter Patientenmangel leiden. Ein scheinbares Paradoxon, aber ein wahrhafter Giftcocktail. In den medizinischen Fachgebieten sind die Fallzahlen eingebrochen. Die Grippe fand nicht statt, der stete Zufluss aus Alters- und Pflegeheimen versiegte, und auch Wartepatientinnen und -patienten gab es keine mehr. Der abrupte Abfall konnte hingegen nicht einfach mit einem entsprechenden Personalabbau kompensiert werden, Gesundheitsfachpersonen sind keine Manövriermasse. Und ausserdem – Corona geht in die Verlängerung – droht ja jetzt die dritte Welle.
Warum das Personal dann nicht in jenen Disziplinen einsetzen, in denen die Fallzahlen, zum Teil explosionshaft, wieder angestiegen sind, in den chirurgischen, invasiven? Hier lautet die Antwort: Weil das Personal keine amorphe Knetmasse ist, die sich beliebig verbiegen und einsetzen lässt. Immer komplexere Behandlungen erfordern immer spezialisiertes Personal, gerade im OP-Bereich. Dieses Personal wurde in der ersten Welle in die heimatlichen Zwangsferien geschickt – oftmals ins nahegelegene Ausland – von wo es nicht, oder nur zögerlich, wieder zurückkehrte. Spitäler, denen das Anschlussrennen im Verlauf der zweiten Welle nicht gelang, fielen unheilvoll zurück und sind im Spiel um qualifiziertes Personal Tabellenletzte. In Kurzfassung: Dort, wo es Personal hat, fehlen die Patienten und dort wo es Patienten hat, fehlt das Personal.
Eine rasche Lösung ist nicht in Sicht, die Prognose ist unbestimmt, die Therapie lautet Pragmatismus. Wie bei Long Covid eben. Long-Covid-Spitäler haben in der Regel Risikofaktoren: Sie waren vermutlich schon vor der Krise schlecht aufgestellt. Sie befanden sich vielleicht in einer heiklen Phase der Transition und wurden auf dem falschen Fuss erwischt. Möglicherweise war die Führungscrew nicht ganz sattelfest. Oder es bestand eine Kombination aus den genannten Faktoren. In jedem Fall ist es keine einfache Ausgangslage für den Weg zur Besserung. Wie bei Long Covid eben. Ob es diese Spitäler durch die dritte Welle schaffen? Ungewiss.
Menschliche Long Covid-Patientinnen und -Patienten überlässt man nicht einfach ihrem Schicksal, man kümmert sich um sie, unterstützt sie, wo es geht und solange es nötig ist. Ob dies auch für Long-Covid-Spitäler zutrifft, ist indessen eine politische Frage.
Die schlechte Nachricht: Spitäler kann man nicht gegen Covid impfen. Die gute: Wenigstens stecken sie sich nicht gegenseitig an. Oder etwa doch?
Medica
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