Wann haben Sie mit Projekten im Gesundheitsbereich angefangen?
Das ist schon über 30 Jahre her, am BMI der ETH Zürich, das war ein Projekt zu Umbauten im OPS-Bereich des Universitätsspital Zürich. Über all diese Jahre hatten wir eigentlich immer rund 10 bis 20 Prozent unserer Aufträge aus dem Gesundheitsbereich.
Sie sind mit Ihrem Unternehmen einst aus der ETH Zürich hervorgegangen und haben immer noch enge Bindungen, beispielsweise durch Ihre Vorlesungen. Was unterrichten Sie?
Eine Vorlesung lautet «Betriebliche Simulation von Produktionsanlagen». Das Thema hat durch die Industrie 4.0 eine grosse Dynamik bekommen. Dort ist der digitale Zwilling eine Simulation, und die meisten, die daran arbeiten, haben leider wenig Erfahrung mit professionellen Simulationen. Entsprechend sind dann die Ergebnisse.
Da Sie das Fach bereits seit 1993 unterrichten, dürften Sie einen gewissen Vorsprung haben. Und Ihre anderen Vorlesungen?
Dort geht es um die Arbeitsplatzgestaltung, kombiniert mit Ergonomie, da gibt es sehr gute Methoden wie beispielsweise MTM (Methods of Time Measurement). Diese Methode funktioniert eigentlich überall – in der Küche, im Büro, im Spital oder im Pflegeheim. Früher habe ich auch noch Unternehmensführung und Betriebsplanung unterrichtet.
Wie wichtig ist die Betriebsplanung für Ihre Beratung?
Gerade jetzt in Zeiten von Covid-19 ist das eigentlich unser beständigstes Geschäft. Wir haben einige Berater, die auf das Thema spezialisiert sind. Logistikcentren, öffentliche Bauten, Verwaltung, Pflegeheime und Spitäler, in all diesen Bereichen haben wir Projekte.
Beschäftigen Sie auch ehemalige Ärzte als Berater?
Nein, wir nicht. Ich halte dies generell für keine gute Idee. Im Gesundheitswesen braucht es Ideen aus Gebieten, die schon mehr Erfahrungen damit haben. Ich weiss schon, dass Ärzte gerne andere Ärzte als Berater beiziehen, aber mir fehlt da etwas der Abstand, der frische Blick. Ich sehe den Vorteil bei uns darin, dass wir auch die Industrie und den Handel beraten. Branchen, in denen wesentlich härter um die Margen gekämpft wird. So können wir häufig interessantes Transferwissen in den Gesundheitsbereich einbringen.
Wo liegen die Potenzialfelder im Gesundheitsbereich, was fällt Ihnen immer wieder auf?
Ein grosses Potenzial liegt fast immer in der mangelnden Kommunikation. Das ändert sich etwas durch die jüngeren Ärzte. Zudem gibt es selbstverständlich organisatorische Probleme. Früher hat man oft davon gesprochen, dass es vier bis fünf formelle Hierarchien gibt und zwölf informelle. Ganz so schlimm ist es nicht mehr, aber das Problem besteht noch.
Was meinen Sie damit genau?
Die Pflege ist normalerweise für alle Fragestellungen sehr offen. Das Problem bei Projekten ist häufig, dass die Verwaltung und die ärztliche Leitung vergessen, die Pflege, das Labor und die Pharmazie etc. ausreichend nach ihren Bedürfnissen und Erfahrungen zu fragen und in die Projekte zu involvieren. Ärzte wissen häufig gar nicht, was alles im Hintergrund geleistet wird, damit sie effizient arbeiten können.
Also stimmt das klassische Bild von den Ärzten als Götter in Weiss doch noch? Ich dachte, die Zeiten wären längst vorbei?
Wir stellen fest, dass Ärzte bis 45 oder 50 Jahren offener sind und auch schon sehr betriebswirtschaftlich denken, da mache ich mir eher ein wenig Sorgen um die Krankenkassenprämien. Aber ältere Semester denken häufig noch sehr stark in Hierarchien.
Welche Entwicklungen sehen Sie noch?
Wir haben immer wieder Projekte, bei denen der Privatpatienten-Bereich ausgebaut und aufgewertet wird. Sowohl in der stationären Pflege als auch im Ambulatorium. Da diese Patienten finanziell sehr attraktiv sind, stehen sie mehr und mehr im Fokus. Man will ihnen so viel wie möglich bieten, mit dem Ziel, noch attraktiver für diese Patientengruppe zu werden.
Was hat sich an der Art der Projekte über die Jahre geändert?
Organisationsprojekte zum Arbeitsablauf waren stets Kern unserer Tätigkeit, auch in Bezug auf die informellen Netzwerke und Hierarchien. Früher hatten wir auch Projekte, die sich aus der Vielzahl von verschiedenen Lohnklassen ergaben. In einem Spital zum Beispiel gab es dreissig verschiedene Lohnklassen. So kam es dazu, dass ein Pfleger aus einer Lohnklasse nur das leere Bett schieben durfte und ein anderer das Bett mit einer Patientin oder einem Patienten darin. Beide sind dann immer zusammen über das Areal gelaufen. In vergleichbaren Bereichen haben wir früher viel gemacht, im Catering, in der Wäscherei oder in der Hauswirtschaft. Heute sind die meisten Aufgaben komplexer. Ähnliche Projekte gibt es auch heute noch, beispielsweise in der Spitalverwaltung, wo wir prüfen, wie man sich «lean» aufstellt und die Verwaltung nur so gross macht, wie es wirklich nötig ist. Und sei es nur, dass der Empfang auch die Postorganisation übernimmt.
Das alles sind klassische Lean-Management-Projekte?
Ja, solange man unter «lean» nicht den Vorwand versteht, bis aufs Skelett abzumagern oder verdeckte Kostenoptimierungsprojekte meint, was leider häufig der Fall ist. Der Begriff Kostenoptimierung ist im Gesundheitsbereich verpönt.
Welches sind dann die Schlüsselwörter, hinter denen sich Kostenoptimierung verbirgt?
Arbeitsabläufe, Organisation, Ergonomie, Arbeitserleichterung etc. Die meisten Lean-Projekte haben im Grunde auch das Ziel, Kosten zu sparen, indem vermeintlich Unnötiges eingespart wird. Man scheut sich in vielen Dienstleistungsbranchen davor, das offen auszusprechen,weil Kostenreduzierung dort in der Regel mit der Reduktion von Personal einhergeht, das schlägt auf die Motivation.
Was macht Prozesse effektiv, gibt es ein Grundmuster?
Wichtiger sind robuste Arbeitsprozesse, eine Reduktion der Komplexität, Erhöhung der Transparenz und bessere Kommunikationswege. Wir versuchen, Prozesse immer als Loop, s egelkreise zu organisieren. Dann sind die Prozesse robust, weil sie sich selbst regeln. Das heisst zum Beispiel, ich nehme nicht etwas in die Hand und lege es planlos hin, und der Nächste sucht dann.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Die Medikamenten-Logistik beispielsweise –Medikamente werden im zentralen Lager gerüstet, wechseln dann vielleicht das Gebäude, werden in die richtige Abteilung gebracht und teilweise verwendet, dabei wechseln sie fünf- bis zehnmal die Hand. Der Rest kommt wieder zurück, wird entsorgt oder wieder eingelagert. Verbrauchte Mengen werden laufend nachbestellt. Das ist gesamthaft ein runder Kreislauf mit Optimierungspotenzial, der – falls er nicht aufgestückelt wird – robust ist. Hier spielt auch die Automatisierung eine immer grössere Rolle, bei der immer wichtiger wird, dass die richtigen Medikamente dokumentiert zum Patienten kommen und auch eingenommen werden. Es gibt Studien, die eine relativ hohe Fehlerquote bei den vielstufigen händischen Prozessen belegen.
Das hört sich beunruhigend an.
Im Gegenteil, für mich ein Beleg, dass der menschliche Körper doch sehr robust ist und kleinere Fehler in der Regel gut verträgt.
Welche Fehler begegnen Ihnen bei Prozessen immer wieder?
Dass man vorhandene Prozesse nicht grundsätzlich infrage stellt, sondern versucht, sie einfach zu optimieren. Das heisst, sie haben einen unsinnigen Prozess und kultivieren ihn dann noch. Ganz schlimm wird es, wenn der unzureichende Prozess dann auch noch digitalisiert wird. Damit sitzen sie in der Falle, denn das lässt sich fast nicht mehr ändern.
Was ist also zu tun?
Besser einmal einen Schritt zurückgehen und sich fragen: Was ist «need to have», «nice to have» und «not to have». Und einfach einmal zwei Stufen früher zu schauen, wo Schnittstellen sind. Dort treten die häufigsten Fehler auf, etwa bei Übergaben. Im Prinzip muss man die Prozesse neu definieren und das lässt man besser von Externen machen, die keine Scheuklappen tragen. Nur so kann man alte Zöpfe abschneiden.
In welchen Spitälern sind Sie überwiegend tätig? Eher in grossen Häusern oder in kleineren?
Überwiegend in den ganz grossen Spitälern, sowohl in öffentlichen als auch in privaten. Bei einer grossen privaten Gruppe haben wir beispielsweise die OPS-Abläufe neu organisiert.
Sehen Sie Unterschiede in der Professionalität zwischen privaten und öffentlichen Spitälern?
Nein, im Wesentlichen nicht. Man kann sagen, dass die privaten Spitäler viel früher einen Fokus auf eine saubere patientenzentrierte Organisation der Abläufe und klare Prozesse mit Kostenverfolgung gelegt haben.
Wie misst man eigentlich gute Prozesse?
Für mich ist der härteste Massstab die Durchlaufzeit. Dazu gehören auch Schnittstellenzeiten, Übergangszeiten und Wartezeiten. Und dann muss man aufpassen, dass man keinen Kardinalfehler macht. Denn zur Durchlaufzeit gehören zwei Dimensionen: die Länge, das ist naheliegend. Und die zweite Dimension ist die Streuung. Wobei bei robusten Prozessen nicht immer die kürzeste Zeit das Richtige ist. Das Erste, was wir bei Projekten machen, ist die Streuung in den Griff zu kriegen.
Was meinen Sie damit genau?
Wenn ich Ihnen sage, dass ich eine Dienstleistung in einem Tag oder in zehn Tagen liefern kann, dann entscheiden Sie sich in der Regel für einen Tag Lieferzeit. Wenn ich Ihnen aber sage, dass ich Ihnen in zehn Tagen mit einem Tag Schwankung liefere oder in einem Tag mit zehn Tagen Schwankung, würden Sie sich wahrscheinlich für zehn Tage Lieferfrist entscheiden. Sie wollen schliesslich eine gewisse Planungssicherheit haben. Häufig wird bei der Prozessoptimierung nur auf die mittlere Zeitdauer geachtet und das ist falsch. Wenn die Streuung gross ist, verschlechtert man bei verkürzten Prozessen die Risiken.
Gibt es ein Muster, nach dem Sie Prozesse analysieren?
Bewährt hat sich die Vorgehensweise, auf geschlossene Kreisläufe zu setzen, dann die Streuung rauszunehmen und die Übergänge und Schnittstellen zu reduzieren.
Welche Rolle spielt die Digitalisierung für Sie?
In vielen Bereichen ist Sie nützlich – im Labor oder in der Dokumentenorganisation beispielsweise. Sie hat auch Grenzen, insbesondere in der Pflege. Ich glaube nicht an Pflegeroboter. Sehr populär sind sicherlich die Unit-Dose-Anwendungen bei der Medikamentenvorbereitung. Wenn man ehrlich ist, dienen diese eher zum Senken der Risiken, wirtschaftlich machen sie in der Regel noch wenig Sinn.
Warum nicht?
In Pflegeheimen können sie bis zu 100 Prozent der Medikamente damit vorbereiten, in Akutspitälern lediglich 20 bis 30 Prozent. Dadurch entstehen parallele Prozesse. Sie haben im OPS oder Notfall häufig andere Anforderungen. Es gibt die personifizierten Medikamente und bei verschiedenen Ärzten unterschiedliche Vorlieben für Medikamente. Kurz, die Standardisierung in diesem Bereich ist in Akutspitälern sehr gering und begrenzt.
Sie machen seit 30 Jahren Spitalprojekte. Ist mal ein Projekt so richtig daneben gegangen?
Nein, glücklicherweise nicht. Aber dass sich der Kunde am Ende nicht traut, Konzepte umzusetzen oder sich innerbetrieblich nicht durchsetzen kann, das gibt es natürlich. Es gibt auch Projekte, die erst nach Jahren umgesetzt werden. Einmal sogar in einem anderen Betrieb. Da hat ein Mitarbeiter unser Konzept in seinem neuen Betrieb eingeführt. Das ist manchmal schon lustig.
Was würden Sie sich von Ihren Kunden noch mehr wünschen?
Nicht von allen, aber von einigen: Bei Change- Management-Projekten ist externe, neutrale Moderation und Begleitung wichtig. Darauf verzichten heute viele Kunden, das finde ich falsch. Bei Bauprojekten ist man häufig zu sehr auf den Architekten fixiert, vergisst die Pflege zu involvieren und Experten wie uns, die Erfahrung und externe Ideen einbringen. Dann wundert man sich am Ende, wenn es nicht genug Fahrstühle gibt, um Dinge zu transportieren oder Rampen zum Entladen fehlen, weil die Kompetenz gefehlt hat. Davon gibt es leider einige Beispiele