Herr Schmutz, wie oft stehen Sie eigentlich noch selbst am Herd?
In der Regel eher selten. Aber jetzt – in der Urlaubszeit beispielsweise – häufiger. Ich finde es auch wichtig, dass der Küchenchef noch selbst kocht. Man muss nicht alles besser können, aber es ist schon gut, wenn man seinen Mitarbeitenden von Zeit zu Zeit etwas zeigen kann. Denn das, was Du verlangst, musst Du auch selber kochen können.
Woher stammen die Rezepte?
Das sind alles meine Rezepte, die ich mitgebracht oder hier weiterentwickelt habe.
Wie viele Personen versorgen Sie hier in Locarno?
In der Pflege sind es 30 Personen, für die wir Frühstück, Mittagessen und Abendessen zubereiten. Darüber hinaus haben wir je nach Auslastung 60 bis 80 Residenten. Diese beziehen in der Regel Halbpension. Und dann gibt es noch das À-la-carte-Restaurant für maximal 50 Personen, das über Mittag überwiegend ausgebucht ist.
Bestehen Synergien zwischen Restaurant und Heim-Betrieb?
Mittags ist das Menü dasselbe. Abends haben wir noch ein anderes Menü für die Pflege.
Aber für die Residenten und das Restaurant ist das Menü mittags und abends gleich. Und dann beliefern Sie noch Bellinzona und Tenero?
Genau. Zu den rund 150 Mahlzeiten in Locarno plus die Mahlzeiten im Restaurant kommt noch mal ein vergleichbarer Umfang hinzu. In Bellinzona und Tenero haben wir jeweils rund 70 Bewohner und jeweils 30 – 40 Pflegeplätze. Insgesamt also etwa 300 Mahlzeiten pro Tag.
Und mit wie vielen Mitarbeitern leisten Sie die Verpflegung?
Insgesamt sind wir 12 Personen inklusive eines Lehrlings. Sechs Köche, ein Lehrling und fünf Hilfskräfte.
Im Jahr 2014 haben Sie hier begonnen, was haben Sie seitdem verändert?
Grundsätzlich alles. Die Arbeits-Organisation hat sich völlig gewandelt. Früher hat beispielsweise der Service nebenbei auch noch etwas produziert. In der kalten Küche hatten wir einen Koch, der auch Service gemacht hat und nebenbei noch ein Dessert für den nächsten Tag. Heute macht er nur den Service und denkt sich noch eine schöne Garnitur aus. Im Prinzip war früher auch nichts standardisiert. Als ich hier anfing, hatten wir so gut wie keine Rezepte hinterlegt. Lediglich in der Patisserie gab es ein paar Rezepte und vielleicht noch das ein oder andere für die warme Küche. Man hat nach Gefühl gekocht und mit Erfahrung.
Wie sind sie vorgegangen?
Am Anfang habe ich mir das Ziel gesetzt, jede Woche eine gesamte Woche zu rezeptieren und elektronisch zu archivieren. Ich habe natürlich eine Reihe von Rezepten mit hierher gebracht, und für weitere Gerichte konnte ich Grundrezepte verwenden und ausbauen. Schon vor der Rezeptierung haben wir bereits die Mengen aufgeschrieben. Aber die Mengen sind nicht alles, noch wichtiger sind die Prozesse.
Was wäre das zum Beispiel?
In der Produktion haben wir jetzt Vorbereitung und Zubereitung organisatorisch geteilt. Dafür haben wir jeweils eine verantwortliche Person pro Tag. Eine Person kümmert sich um das Mise en Place, in der Regel am Vortag oder zum Teil auch zwei Tage vor Produktion. Die andere Person kümmert sich nur um die Produktion, also um die gesamten Garprozesse, die Kühl- und Kommissionierungsprozesse. Beide haben miteinander nichts zu tun. Wer produziert, kommt morgens um 7 Uhr und produziert den ganzen Tag.
Haben Sie sich das alleine ausgedacht oder hatten Sie auch externe Hilfe?
Vieles stammt in der Tat von mir, darüber hinaus kann ich immer auf Frank Forster von Food 66 zählen, der uns in vielen Bereichen der Prozessküchenentwicklungen unterstützt.
Produzieren Sie täglich?
Nein, nur drei Mal die Woche produzieren wir «Warme Küche» und zwei Mal in der Woche für die Patisserie.
Sie haben also Spezialisten, die nur für die Regeneration oder nur für die Produktion zuständig sind?
Nein, so ist es nicht. Grundsätzlich kann schon jeder alles machen. Nur werden die Mitarbeitenden jeweils nur für einen bestimmten Job eingeteilt. Aber das wechselt.
Wie erfolgt bei Ihnen die Menüplanung?
Wir haben Rezepte für das ganze Jahr, für 52 Wochen, die noch einmal aufgegliedert sind in vier Serien von 13 Wochen für Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Innerhalb einer Saison wiederholt sich jedes Menü einmal. Für die Mengenplanung schaue ich immer auf genau die Vorwoche des Vorjahres, justiere eventuell ein wenig. Und bei der Wiederholung nach sechs Wochen kann ich weitere Anpassungen vornehmen.
Damit minimieren Sie die Abweichungen und müssen weniger wegwerfen?
Genau! Es geht nicht immer genau auf, aber plus oder minus fünf Gerichte ist schon sehr gut.
Was ist noch wichtig für die Menüplanung?
Ich achte immer darauf, dass die Gerichte, die zur Auswahl stehen, ungefähr gleich stark sind. Schnitzel etwa läuft immer sehr gut. Dann passen dazu gut Fisch-Knusperli, die auch sehr beliebt sind. Ich will nicht 80 Schnitzel verkaufen und nur zehn Fischgerichte, was passieren könnte, wenn ich ein schwaches Fischgericht anbiete. Oder wenn es das beliebte Entrecôte gibt, dann mache ich als Pastagericht Spagetti Bolognese, weil das auch immer gut läuft. So habe ich dann auch die Kosten im Griff, da das Entrecôte relativ teuer ist und ohne ein starkes Gericht neben dem Entrecôte verkaufe ich zu viel Rindfleisch.
Führen Sie zur Menüplanung oder für die Rezepte Food-Workshops durch?
Vor der Aufstellung der neuen Prozesse haben wir uns häufig getroffen und abgestimmt. Aber jetzt
steht eigentlich der Plan, wir haben genügend Rezepte. Veränderungen erfolgen jetzt meistens direkt, wenn einem Mitarbeitenden etwas auffällt oder eine neue Idee aufkommt. Wir haben im ersten Jahr sehr genau die Fehler dokumentiert und digital korrigiert, sodass wir im zweiten Jahr eigentlich schon einen sehr guten und soliden Menüplan hatten mit den richtigen Mengen, Garzeiten und Ähnliches. Da gab es kaum noch Probleme. Rezeptieren, kochen, regenerieren, probieren, justieren. Das war im ersten Jahr besonders wichtig.
Ändern Sie den Plan jetzt überhaupt noch, haben Sie Platz für neue Rezepte?
Ja schon. Ich überlege mir im Schnitt ein bis zwei neue Rezepte pro Woche. Probiere mal etwas aus, sonst wird es auch zu langweilig. Zudem müssen wir auch auf die kulturellen Unterschiede achten. Welche zum Beispiel?
Wir haben sehr viele Deutschschweizer Gäste. Die essen Pasta auch als Beilage. So etwas kannst Du bei Italienern nicht machen. Die würden niemals Pasta als Beilage zu einem Hauptgang essen. Pasta ist für sie eine warme Vorspeise. Für die Italiener ist unsere Küche fast zu deutschschweizerisch geprägt. Hier den richtigen Kompromiss zu finden, ist nicht leicht. Und dann haben wir die Gäste natürlich 365 Tage im Jahr. Die muss man auch schon mal überraschen, damit sie sich nicht langweilen.
Wie kann man die Rezepte noch charakterisieren?
Die Leute wollen eigentlich nichts Ausgefallenes, kein Schickimicki. Gefragt sind einfache, solide Gerichte. Auch mal ganz normale Tomatennudeln oder einen klassischen Braten. Wir haben Gäste, die wollen jeden Tag Fleisch essen. Und das können sie bei uns auch.
Haben sich in den letzten fünf Jahren die Essgewohnheiten geändert?
Grundsätzlich nicht. Wir haben auch nicht viele Allergiker. Zudem versuche ich bei allen Rezepten, wenn möglich, die Allergene rauszunehmen. Zum Abbinden nehme ich Maizena, ich versuche, kein Mehl zu benutzen, Gluten vermeide ich oder auch Laktose. Auch bei Gemüserezepten lasse ich die Butter weg und nehme Olivenöl wo möglich.
Wer bestellt die Waren konkret bei Ihnen?
Das mache ich. Von der Software erhalte ich einen Bestellvorschlag, automatisch erstellt für jeden Tag. Dann kann ich noch einmal kontrollieren, ob ich das alles wirklich brauche. Eventuell habe ich ja auch noch etwas im Haus und kann die Menge reduzieren. Dann erstelle ich die Warenkörbe und bestelle via E-Mail, die auch vom Programm generiert wird.
Wie lange dauert der Vorgang von der Menüplanung bis zur Bestellung?
Wenn ich den abgestimmten Menüplan habe, dauert es etwas eine Stunde, bis ich die E-Mail mit der Bestellung rausschicke.
Wie häufig bestellen Sie beim Lieferanten?
Einmal pro Woche.
Beziehen Sie alles vom Grossisten?
Die meisten Dinge schon. Saviva liefert uns Tiefkühlsachen, die weisse und gelbe Linie, die meisten Fleisch- und Fischlebensmittel. Das Gemüse beziehen wir von einem lokalen Händler aus Lugano. Und dann haben wir noch einen Dorfmetzger aus Locarno. Für spezielle regionale Waren, wie die Tessiner Wurst etwa. Auch Aufschnitt-Waren beziehen wir teilweise über ihn. Seit 2014 beliefern Sie wie ein Caterer auch zwei weitere Standorte in Bellinzona und Tenero.
Welche Aufgaben haben Sie übernommen?
Wir bereiten die gesamten Speisen vor, sind aber nicht für den Service verantwortlich. Es gibt vor Ort einen Koch, der für die Regeneration zuständig ist. Es gibt zwei Wege: Ein Teil der Speisen geht in die Regenerationswagen. Der andere Teil geht an das Bistro, das wird à la Carte regeneriert.
Mussten Sie Ihre Küche für die zusätzliche Kapazität aufrüsten?
Ja, natürlich. Wir haben beispielsweise Rational-Öfen angeschafft, Schockfroster, Heissabfüllstationen und die Möglichkeit, in GN Schalen zu vakuumieren. Und personell haben wir einen Koch und einen Hilfskoch zusätzlich erhalten. Wir hatten zu Beginn im Projekt die grobe Regel, dass wir für 100 Essen zusätzlich einen Koch mehr bekommen.
Wie kommt das Essen zu den Aussenstandorten?
Mit einem kleinen Transporter. Dieser wird jeweils von einem Hilfskoch gesteuert.
Liefern Sie auch warm aus?
Nein, nur kalt. Bei der Entfernung von einer Stunde würde es mit warmen Essen nicht funktionieren. Gemüse wird nach 30 Minuten matschig. Die Qualität der Speisen ist kalt viel besser.
Was haben Sie noch geändert?
Die ganze Logistik war für mich ein unbekanntes Monster. Schon die Auswahl des Transportmittels zur Belieferung der externen Standorte musste genau ausgewählt werden. Der Wagen sollte nicht mehr als 3,5t Gewicht haben, da unsere Mitarbeiter in der Regel nur einen normalen Führerschein haben. Dann brauchten wir ein Auto mit einer Hebebühne. Später haben wir gemerkt, dass wir auch eine Blockierschiene brauchen, weil uns die Wagen auf der Rampe immer weggerollt sind. Eine Kühlung brauchten wir nicht. Bei einer Fahrzeit von maximal einer Stunde reichen unsere Kühlboxen aus. Und dann haben wir auch zwei Räume im Laderaum, weil gleichzeitig auch die Wäsche für die externen Häuser transportiert wird.
Und die Dokumentation ist sicherlich auch anspruchsvoll?
Absolut. Es gibt ja Lieferscheine und Vorbereitungs- und Bestelllisten. Dabei unterstützt uns eine Software, eine echte 360-Grad-Lösung. Der Menüplan sowie die Bestellungen der Stationen und der externen Häuser sind dort abgebildet. Wir haben Produktionslisten, die nach bestellten Mengen gedruckt werden. Da haben wir die Gesamtmengen aller Rezepten, die bestellt wurden. Also beispielsweise 50 Suppen aus dem einen Haus, 100 aus dem anderen und wieder 50 aus einem weiteren. Das ergibt 200 Suppen, die wir kochen, dabei ist uns egal, für wen sie sind. Wenn die Suppen gekocht sind, werden sie entsprechend kommissioniert. Das System hilft mir dabei, die richtigen Etiketten zu drucken, abgestimmt auf das jeweilige Haus, das Gefäss und die Menge. Dabei hat jedes Haus eine eigene Farbe, das hilft uns beim Kommissionieren. Am Freitag sind es rund 120 Gefässe, die wir in die Hand nehmen müssen. Wir produzieren ja nur dreimal die Woche: montags und mittwochs für zwei Tage, freitags für drei Tage.
In welche Gefässe werden die Speisen abgefüllt?
Wir haben für das Hotfill Stehbodenbeutel für ein, zwei und fünf Liter. Die knusprigen Dinge wie Kuchen, Torten, Schnitzel, Quiches werden schockgefrostet bei minus 40 Grad und werden dann vor dem Essen regeneriert. Andere Dinge wie Gemüse, Fleisch oder Fisch werden in die Schale gegeben und vakuumiert.
Werden die externen Häuser in die Menüplanung einbezogen?
Ja, sie können innerhalb einer Woche, nachdem ich Ihnen den Plan geschickt habe, Änderungswünsche angeben. Manchmal haben sie auch Events oder besondere Anlässe, die veränderte Mengen oder Speisen erfordern. Aber das Gute ist ja, dass sie immer für zwei Tage Essen im Haus haben. So können Sie notfalls auf das Essen vom Folgetag zurückgreifen. Und manche haben auch bestimmte Gerichte wie Lasagne oder Quiche schockgefrostet als Reserve.
Machen die externen Häuser noch irgendetwas selbst?
Salat machen sie selber und teilweise auch Kuchen.
Nach welchen Kriterien entstand das Budget für die Aussenstandorte?
Wir haben uns Referenzpreise von externen Catering-Unternehmen eingeholt und auf dieser Basis das Budget gestaltet. Insgesamt kommen wir auf rund eine halbe Million Franken für die beiden Standorte zusammen. Die Mahlzeiten sind detailliert mit einem Preis versehen: Die Suppe, Hauptgang Fleisch, Fisch und Vegetarisch, Dessert und das Abendessen haben jeweils einen eigenen Preis.
Haben Sie im Budget auch einen Gewinn eingeplant?
Unser Ziel ist es, dass wir mit jeder Mahlzeit einen Franken Gewinn machen, so haben wir es im Budget eingestellt.
Sie haben sicherlich auch Gäste in der Pflege mit Schluck- oder Kaubeschwerden. Wie wird das im Prozess bearbeitet?
Das machen die Service-Köche vor Ort. Sie übernehmen dann das Pürieren oder Kleinschneiden. Allerdings haben wir zurzeit insgesamt nur drei Personen mit diesen Beschwerden.
Was möchten Sie noch ändern im Prozess?
Aus meiner Sicht sind wir heute insgesamt schon sehr gut organisiert. Aber wir verwenden immer noch zu viel Papier. In Zukunft möchte ich das gerne umstellen und digital organisieren, sodass man das Rezeptbuch über ein Tablet digital abrufen kann und wir einen Produktionska-lender haben, der digital abrufbar ist.
Was würden Sie anderen Köchen empfehlen, die ihre Prozesse optimieren wollen?
Eine gute Software braucht man, die nicht ein elektronisches Rezeptbuch beinhaltet, sondern bei der gesamten Produktionssteuerung, Mengenplanung und -bestellung unterstützt, bis zur Auslie-ferung der regenerierbaren Mahlzeiten. Zum anderen ist es wichtig, wie man die verschiedenen Gerichte aufbaut. Am Anfang hatte ich zum Beispiel Spagetti und Tomatensauce in einem Rezept und Spagetti Bolognese in einem anderen. Aber dann habe ich festgestellt, dass es mehr Sinn macht, die einzelnen Komponenten als getrennte Rezepte anzulegen. Also einmal das Grundrezept Spagetti und dann die Tomatensauce getrennt als ein anderes Rezept. Auch Saucen für Fisch oder die Garnituren sind einzelne Rezepte. Und der pochierte Fisch ist ein an-deres Rezept. So kann ich auch das Fischrezept mit verschiedenen Saucen kombinieren.
Herr Schmutz, wir danken Ihnen für das Gespräch!
JOEL SCHMUTZ - DER KÜCHENCHEF: Joel Schmutz absolvierte seine Lehre im Hotel Splendide Royal Lugano, im Ristorante al Lido Lugano und in einer Pizzeria. Er legte die Prüfung als bester Lehr-ling im Tessin ab und arbeitete danach im Hotel Villa Sassa Re-sidence&Spa, war beim Militär Truppenkoch und wurde mit 21 Jahren Küchenchef im Ristorante al Lido Lugano. 2010 schloss er einen Lehrgang als Gastrono-miekoch mit EFA ab. Er war zwei Jahre Sous-chef im Hotel Giardino Ascona und wurde später Kü-chenchef im Hotel Giardino Lago Minusio. Seit 2014 ist er Küchen-chef bei Tertianum Residenza al Lido in Locarno.