Summary
Die Zahlen vom Bundesamt für Statistik sind unbestritten: In den nächsten 15 Jahren werden mehr Arbeitskräfte in Rente gehen als es Berufseinsteigende geben wird. Betroffen ist auch das Schweizer Gesundheitswesen. Die ganze Gesundheitsbranche steht vor der grossen Herausforderung, künftig genügend qualifiziertes Personal gewinnen zu können. Mitarbeitergewinnung und -erhaltung werden für Unternehmen herausfordernd sein, zugleich jedoch auch eine Chance. Personalgewinnung und Arbeitgeberpositionierung waren noch nie relevanter als zuvor.
Vom Fachkräfte- zum Arbeitskräftemangel
Es werden nicht nur Akademikerinnen und Akademiker gesucht. Die Schweiz sucht auch Hilfskräfte, SchreinerInnen, ElektrikerInnen oder Servicepersonal. Viele Funktionen sind auch für Spitäler relevant. Personalgewinnungsprozesse werden herausfordernd, da sich über ein Stelleninserat zu bewerben bei den jüngeren Generationengruppen nicht mehr im Trend ist. Kann ein Spital nicht genügend Personal rekrutieren, müssen Dienstleistungen redimensioniert werden, oder es muss mit temporären Arbeitskräften überbrückt werden. Schon heute werden zeitweise stationäre Patientenbetten aufgrund mangelnden Personals reduziert.
Ist Mitarbeiterbindung noch möglich?
Mitarbeitende lassen sich heute nur ungern binden. Mitarbeitende verbleiben langfristig im Unternehmen, wenn sie sich mit den Unternehmenswerten und mit der Unternehmenskultur identifizieren und wenn sie sich persönlich oder fachlich weiterentwickeln können. Arbeitgeberreputation und Arbeitgeberverhalten sind weitere entscheidende Faktoren bei der Arbeitgeberwahl. Bewertungsplattformen wie Kununu werden bei der Arbeitgeberwahl konsultiert und verglichen.
Ist Arbeitgeberattraktivität noch möglich?
Der Run auf Talente in Gesundheitsinstitutionen hat längst begonnen. Die nachhaltigsten Motivationsfaktoren sind Arbeitgeberauthentizität und der aktive Dialog mit bestehenden, potenziellen und ehemaligen Mitarbeitenden aufrechtzuerhalten. Mitarbeitende suchen nebst materiellen Anreizen wie Lohn- und Sozialleistungen auch soziale Anreize wie Sinnstiftung, eine konstruktive Teamkultur und eine familiäre Atmosphäre egal ob sie sich für KMU oder für Konzerne interessieren. Weitere wichtige Eigenschaften, um als «Employer of Choice» wahrgenommen zu werden, sind bürokratische und aufwendige Rekrutierungsprozesse durch Jobspeed-Datings abzulösen oder lange Rekrutierungsverfahren durch Sekundenbewerbungen zu ersetzen. Was Bewerbende im Rekrutierungsprozess generell erwarten, sind zudem eine hohe Geschwindigkeit, Kundenorientierung und einfache Kommunikationswege.
Wie verändert sich der Arbeitsmarkt bis 2040?
Wer Talente inskünftig begeistern will, wartet nicht auf Bewerbungen, die über ein Stelleninserat vielleicht ausgelöst werden.
- HR-Recruiter wird durch Active Sourcer abgelöst Die operative Gesprächsbegleitung von Vorstellungsgesprächen seitens HR ist passé. Der zukünftige Mehrwert von HR wird in der «Active Sourcing»-Tätigkeit und in der «Candidate Journey» von Bewerbenden sein. Ein «Active Sourcer» braucht keine theoretische HR-Fachausbildung, sondern Kompetenzen in der Kunden- und in der Dienstleistungsorientierung, in der Kommunikation und in der Bedienung von sozialen und digitalen Medien, die on-the-job erlernt werden können.
- Leadership Vorgesetzte sind massgebend für eine Anstellung, für den Verbleib im Unternehmen und für die Karriereentwicklung eines Mitarbeitenden. Die Investition in die Auswahl von Führungskräften als Unternehmensambassadoren wird ein entscheidender Faktor bei der Suche von Talenten verschiedener Funktionen sein.
- Schlanke Personalgewinnungsprozesse Talente setzen voraus, dass ihre Bewerbung schnell und unkompliziert bearbeitet wird. Mühsame und mehrstufige Rekrutierungs- und Qualifikationsverfahren werden hinsichtlich des zunehmenden Mangels an Talenten wegfallen.
- Onboarding-Programme für neue Mitarbeitende Die höchste Fluktuationsrate im Gesundheitswesen wird in den ersten 12 Monaten verzeichnet. Ab dem ersten Anstellungsjahr sinkt die Fluktuationsrate massgeblich. Nur wenige Gesundheitsinstitutionen investieren heute in ausgebaute Onboardingprogramme, die einer hohen Fluktuation im ersten Jahr entgegenwirken können.
- Relocations Services Ist die Personalgewinnung ausgeschöpft, werden komplementäre Prozesse wie die Wohnungssuche, Versicherungsberatungen, Unterstützung beim Umzug in die Schweiz, Schulanmeldungen der schulpflichtigen Kinder usw. angeboten. Diese Unterstützungsprozesse können die Arbeitgeberwahl positiv beeinflussen und werden nicht nur von ausländischem Personal, welches erstmals in der Schweiz erwerbstätig wird, verlangt.
- Wiedereinstiegsund Quereinsteigerprogramme Die Digitalisierung und die Künstliche Intelligenz werden bestehende Berufe verändern oder komplett ersetzen. Betroffen sind eine Vielzahl von Menschen. Gesundheitsinstitutionen, die in attraktiven Wiedereinstiegs- und Quereinsteigerprogrammen investieren, können so eine oder mehrere der betroffenen Zielgruppen erreichen.
Folgen von chronischem Arbeitskräftemangel
Die Folgen sind vielseitig und können unser soziales und kulturelles Leben massiv beeinflussen. Darunter leiden wird die fehlende oder unzureichende Bedienung im Restaurant oder im Hotel. Ausfälle oder Verspätungen bei den öffentlichen Verkehrsmitteln, Pflegedienstleistungen im Spital oder in ambulanten Gesundheitszentren. Die gefährlichste Entwicklung ist die zunehmende Abhängigkeit von Temporärfirmen und die Erhöhung der Arbeitsbelastung beim bestehenden Personal.
Fabio Blasi, Leiter Sourcing & Employer Branding bei der KSA-Gruppe, Dozent an der Zürcher und an der Berner Fachhochschule sowie im Vorstand bei Perikom