Der mediale Fokus auf die Kosten und der Kostenröhrenblick der nationalen Politik, insbesondere von Bundesrat, dem nationalen Parlament und der Krankenversicherer, hat dazu geführt, dass das Verständnis für die wahren Herausforderungen völlig verloren gegangen ist. Der enorme Spardruck auf die Spitäler hat Konsequenzen. Die Kostendeckung im stationären Bereich beträgt 92 Prozent und im ambulanten 84 Prozent. 70 Prozent der Kosten in einem Spital betreffen den Personalaufwand. Wenn die Spitäler sparen müssen, dann trifft dies folglich speziell das Personal. Die Konsequenz: Leistungsabbau und Qualitätsverlust.
Das Bundesparlament behandelt pro Jahr mehr als 500 Geschäfte zur Gesundheitspolitik und verliert sich im Mikromanagement. Die Folge sind neue Regulierungen, die zu zusätzlicher Administrationsarbeit führen, damit die Gesundheitsfachpersonen frustrieren und die Ausgaben in die Höhe treiben.
Fachkräftemangel ist die wahre Herausforderung
Das Bevölkerungswachstum und die Alterung der Bevölkerung führen in der Zukunft zu einem Mehrbedarf an medizinischer Versorgung. Der sich gleichzeitig akzentuierende Fachkräftemangel kontrastiert damit. Leistungs- und Qualitätsabbau drohen.
Zwischen 2023 und 2029 werden 788 000 Personen das Alter von 65 Jahren erreichen. Nur 640 000 Zwanzigjährige kommen im selben Zeitraum nach. Dadurch ergibt sich zwischen 2023 und 2029 eine Lücke von 148 000 potenziellen Arbeitskräften. Bis 2040 vergrössert sich diese auf insgesamt 321 000.
In der Pflege geht man von einem Arbeitskräftemangel von 30 500 Personen bis 2030 und 39 500 bis 2040 aus. Bei den Ärztinnen und Ärzten fehlen 2000 Personen bis 2030, 5500 bis 2040.
Diese Zahlen zeigen eindrücklich, dass die Ausbildungsoffensiven bei den Pflegefachberufen zwar wichtig sind, aber nicht genügen werden. Bei den Ärztinnen und Ärzten muss sogar zuerst ein Umdenken in der nationalen Politik stattfinden, denn diese will noch immer die Anzahl Ärztinnen und Ärzte weiter beschränken.
Was ist also zu tun?
Der Fokus muss vom Kostenröhrenblick auf die Versorgungssicherheit und Qualität verschoben werden. Das bedeutet unter anderem eine Intensivierung der Ausbildung von zusätzlichen Pflegefachpersonen und auch Ärztinnen und Ärzten. Bei neuen und bestehenden Regulierungen gilt es, den Nutzen aufzuzeigen und sie gemäss den WZW-Kriterien (Wirksamkeit, Zweckmässigkeit, Wirtschaftlichkeit) zu überprüfen. Sind diese Anforderungen nicht erfüllt, so ist auf diese Regulierungen zu verzichten. Weniger ist mehr!
Die zunehmende Bürokratie ist einzudämmen. Hier sind vor allem die Krankenversicherer gefordert, die immer öfter nach einer nochmaligen Begründung für eine Behandlung fragen und somit die Zeit an der Patientin, am Patienten verringern. Ausserdem muss die Digitalisierung nun endlich auch im Schweizer Gesundheitswesen Realität werden. Die Hürden beim Einsatz des elektronischen Patientendossiers sind zu beseitigen und stattdessen Anreize für dessen Nutzung zu setzen.
Systemwechsel
Am allerwichtigsten ist jedoch der Systemwechsel hin zur spitalambulanten, integrierten Versorgung. Es gilt, dieses Konzept ernsthaft voranzutreiben. Ein wichtiger Pfeiler dafür ist die EFAS-Vorlage (einheitliche Finanzierung ambulant und stationär), über die das nationale Parlament seit 14 Jahren berät. Ausserdem müssen die Tarife so erhöht werden, dass sie als Anreize dienen. Momentan sind sie so tief, dass sie als Bremsklotz wirken.
Der Systemwechsel hin zur spitalambulanten, integrierten Versorgung hat den Vorteil, dass die Patientinnen und Patienten früher wieder nach Hause gehen und schneller gesund werden. Und er wirkt sich positiv auf die Kostenentwicklung aus – bei gleichbleibender Qualität. Besonders wichtig ist jedoch, dass der Systemwechsel den Fachkräftemangel verringert. Er ermöglicht neue Arbeitszeitmodelle, reduziert den Dreischichtbetrieb und führt insbesondere zu weniger Nachtschichten. Die dadurch verbesserten Arbeitsbedingungen führen dazu, dass die Gesundheitsberufe an Attraktivität gewinnen und die Gesundheitsfachpersonen länger und zufriedener in ihrem angestammten Beruf verbleiben.