Wer auf den Speisekarten nach vegetarischen Angeboten sucht, wird heute meistens fündig, auch wenn bezüglich Vielfalt und Qualität je nach Ausrichtung und Schwerpunkten der Anbieter grosse Unterschiede bestehen. Selbst vegane Lebensmittel und Gerichte sind mittlerweile «Standard», obwohl diese Unterkategorie der vegetarischen Ernährung bis vor wenigen Jahren selbst in Lebensmittel-Fachkreisen kaum bekannt war.
Potenzial der pflanzlichen Ernährung ausschöpfen
Der Begriff «Pflanzenbasierte Ernährung» ist im Vergleich dazu in einer breiten Öffentlichkeit noch weniger verankert. Das liegt nicht zuletzt an der bewusst offener gehaltenen Interpretation, als die bekannten Prädikate «vegetarisch» und «vegan». In Forschung und Praxis ist der Begriff häufig mit einer veränderten Sichtweise auf die Zusammensetzung des Speiseplans verbunden. Dabei stehen weniger Forderung «ohne Fleisch» oder «ohne tierische Lebensmittel» im Zentrum. Vielmehr liegt das Hauptaugenmerk in der verstärkten Wertschätzung pflanzlicher Lebensmittel als Haupternährungsquelle. Es geht demnach um die Umkehrung der klassischen Interpretation, gegen die klassischen Fleisch-Werbung, die da lautet: «Alles andere ist Beilage.» In der konkreten Praxis kann dieser veränderte Fokus dazu anregen, das Potenzial der pflanzlichen Ernährung innovativ und kreativ neu zu denken und vielfältig auszuschöpfen.
Vielfacher Nutzen vermehrt pflanzlicher Ernährung
Dr. Katrin Kopf-Bolanz befasst sich als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe «Food Science & Management» der Hochschule für Agrar-, Forstund Lebensmittelwissenschaften als Teil der Berner Fachhochschule (BFH HAFL). Dr. Katrin Kopf-Bolanz richtet zum Verständnis der komplexen Thematik den Blick auf die grösseren Zusammenhänge: «Eine Erhöhung des Anteils an pflanzenbasierter Nahrung mit reduzierteren Mengen an tierischen Lebensmitteln wäre generell wünschenswert, da dies einige Vorteile bietet.» Als Beispiele seien vor allem die meist hohe Nährstoffdichte und damit verbundene gesundheitliche Vorteile, eine niedrigere Umweltbelastung und höhere Effizienz zu nennen, die eine nachhaltige Ernährung für eine vorausgesagte Weltbevölkerung von 10 Milliarden Menschen im Jahre 2050 besser ermöglicht.
Proteinqualität als Schlüsselfaktor
Bei der Umstellung der Ernährungszusammensetzung gilt es Herausforderungen zu meistern: «Bei einer pflanzenbasierten Ernährung ist es wichtig, auf die empfohlene Proteinmenge und eine hohe Proteinqualität zu achten. Milchalternativen weisen zum Beispiel oft geringere Proteinmengen oder eine niedrigere Proteinqualität als Kuhmilch auf», betont Dr. Katrin Kopf-Bolanz die kritischen Punkte aus Forschungssicht.
Die BFH HAFL arbeitet an einem digitalen Optimierungsprogramm mit dessen Hilfe sich pflanzliche Proteinquellen so zusammenstellen lassen, dass ein nach den aktuellsten Ernährungsempfehlungen ideales Aminosäureprofil erreicht wird. Das aktuelle Fazit von Dr. Katrin Kopf-Bolanz. «Kombiniert mit anderen wichtigen Faktoren wie Geschmack und Textur könnten ein angepasster Proteingehalt und eine optimierte Proteinqualität vor allem für den langfristigen Erfolg von Alternativprodukten entscheidend sein.»
Ganze Wertschöpfungskette einbeziehen
Für die Produktentwicklung sei es wichtig, die ganze Wertschöpfungskette mit einzubeziehen, beispielsweise mit Blick auf den Einfluss von Sorten und Anbaubedingungen, das Potenzial der Verarbeitung und die Bedürfnisse der Zielgruppe. «Beim Anbau ziehen wir unsere Kollegen aus der Agronomie zu Hilfe, um zu bestimmen, welche Proteinquellen sich in der Schweiz nachhaltig anbauen lassen und messen zum Beispiel den Gehalt an antinutritiven Verbindungen wie Phytinsäure in unseren Laboren», konkretisiert Dr. Katrin Kopf-Bolanz und ergänzt: «Auch die Art der Verarbeitung kann die Proteinqualität beeinflussen. Der Gehalt an gesundheitsschädlichen Lektinen lässt sich zum Beispiel durch Erhitzen reduzieren. Wir untersuchen dabei wie ein Kompromiss aus Reduktion von antinutritiven Stoffen und schonender Proteinbehandlung aussehen könnte.»
«Proteins4Future» – Alternative Proteinquellen für die Praxis
Die vom Innovationsnetzwerk Swiss Food Research organisierten Innovationsgruppen schaffen einen vertraulichen Rahmen zur Entwicklung technologischer Neuerungen und der daraus entstehenden Produktinnovationen. Über eher traditionelle Branchenbereiche hinaus lanciert Swiss Food Research regelmässig auch neue Innovationsgruppen mit Fokus auf die Praxisanwendung neuer Technologien einerseits sowie zur zeitgemässen Weiterentwicklung traditioneller Lebensmittel-Verarbeitungsverfahren andererseits.
Die nachhaltige Versorgung mit Proteinen ist eine der grössten Herausforderungen. Die Bereitstellung von attraktiven Alternativen in einem «Fleischland» mit entsprechend sozialisierten Konsumentinnen und Konsumenten ist der Königsweg. Es benötigt neue Produkte und Technologien, um attraktive und genussvolle Alternativen zu Fleisch zu schaffen. Sei es rein pflanzliche Produkte oder Produkte mit reduziertem Fleischanteil – das Spektrum ist so breit, wie die Präferenzen der Konsumenten. Insbesondere im Bereich der Verarbeitungstechnologien eröffnen sich hier neue Wege für neue Prozesse. Die Kombination mit anderen Technologien wie HPP oder auch Fermentation schafft neue Möglichkeiten. Fragen der Rohstoffe, deren Verfügbarkeit und Kultivierbarkeit, beispielsweise in der Schweiz, sind genauso wichtig wie Prozesstechnologien und Produktentwicklung. Den Einfluss auf die Ernährung und die Gesundheit gilt es dabei ebenso zu beachten. Der wichtigste Aspekt ist aber die Akzeptanz der Verbraucherinnen und Verbraucher. All diese Aspekte kommen in der Innovationsgruppe Proteins4Future zum Tragen.