Grundlagen
Das EPD wird notorisch unterschätzt. Die sprichwörtliche Spitze des Eisberges ist hier das Portal mit allen Funktionen, die das Gesetz vorschreibt. Die Infrastruktur im Hintergrund muss Sicherheit, Interoperabilität und Verfügbarkeit sicherstellen und ist entsprechend zeitgemäss und leistungsfähig. Dabei wird das EPD immer noch häufig als IT-Projekt verstanden. Das ist es in einem einzelnen Aspekt, aber es stellen sich übergreifende Fragen in allen Bereichen. Erfolgreiche Integrationsprojekte berücksichtigen das. Das EPD ist vor allem ein Kulturwandel im Gesundheitswesen. Die Patientinnen und Patienten erhalten ein Upgrade: vom Briefträger und Bittsteller zum informierten Akteur, der seine oder ihre Daten selbstverständlich und ohne Nachfragen erhält und den Zugriff darauf eigenverantwortlich steuert.
Die EPD-Diät
Im Rahmen der Umsetzung sind uns zahlreiche Punkte in der Zertifizierung aufgefallen, die zwar gut klingen, in der Praxis aber wenig Wirkung haben und auf allen Seiten zu Mehraufwand führen. Das Unterschreiben der Einwilligungserklärung auf Papier («eigenhändig»), zum Beispiel. Oder, dass zur Identitätsprüfung bei der Eröffnung eines EPD immer zwei Personen anwesend sein müssen. Eine grundlegende Feststellung betrifft den Umgang mit den Gesundheitsfachpersonen, die wir doppelt verpflichten müssen, z. B. korrekt mit sensiblen Daten umzugehen. Das EPD wird bei Gesundheitseinrichtungen generell als Fremdkörper definiert, für das eigene Regeln gelten. Obwohl diese bereits mit unseren höchstpersönlichen Daten arbeiten. Zum Schluss müssen auch die absurd hohen Kosten der Zertifizierung sinken. Stichprobenweise werden auch die Leistungserbringer geprüpft. Dort muss der Aufwand sinken, vor allem auch aufgrund der bisher wirklich guten Erfahrungen und weil künftig eine viel grössere Anzahl Gesundheitseinrichtungen ein EPD anbieten wird. Ernsthalten Grund zu Beanstandungen gab es bisher in zahlreichen Stichproben nicht. Dies zeigt die hochstehende Umsetzung seitens unserer Leistungserbringer. Diese Dinge sind allesamt rasch lösbar und ich wünsche mir vom Bundesrat den Mut, das zu tun.
Das EPD ist divers
Seit der Einführung im Aargau haben wir Hunderte von Dossiers eröffnet und elektronische Identitäten dazu herausgegeben. Waren das alles nur interessierte Digital Natives? Die Statistiken sprechen eine klare Sprache: Unsere Nutzerinnen und Nutzer sind divers: von der jungen Familie mit Kleinkindern zur Grossmutter, die eine Behandlung im Spital hat. Ihnen ist aber gemeinsam, dass sie nicht verstehen, wie das EPD 2022 noch nicht überall bei den Leistungserbringern angekommen sein kann.
It’s the health care professionals, stupid!
Damit kommen wir zu unserer häufigsten Frage: Warum ist mein Hausarzt noch nicht beim EPD dabei? Warum finde ich meine Dorfapotheke nicht? Wann kann ich meine Spitex-Organisation berechtigen? Auf diese Fragen haben wir nur eine ehrliche Antwort: Wir sind dran. Und zwar konkret. Dank einer Zusammenarbeit mit den jeweiligen kantonalen Verbänden und der direkten Finanzierung der Beiträge können wir heute sagen: Wir haben bereits mehrere Arztpraxen im produktiven Betrieb, rund dreissig sind im Anbindungsprozess und es werden täglich mehr. Bis aber alle ambulant tätigen Leistungserbringer angebunden sein werden, wird es
noch Jahre dauern. Und das ist nicht schlecht, Ziel ist ja nicht, Fachpersonen kurz vor der Betriebsübergabe und Pensionierung noch zu beüben, sondern motivierte, digital kompetente Gesundheitsdienstleister ins eHealth-Ökosystem zu bringen. Das Fazit derjenigen, die bereits mit dem EPD arbeiten, ist übrigens häufig: «War’s das? Das ist ja viel einfacher, als ich gedacht habe.»
Handbremse lösen
Das einfachste Rezept, um das EPD rasch bei den Gesundheitseinrichtungen zu verbreiten: die Infrastruktur für B2B-Dienste öffnen. Da betreibenrund zehn Dienstleister eine eigene, komplexe Infrastruktur, um der Bevölkerung national standardisiert Dokumente und Daten zugänglich zu machen. Diese Infrastrukturen bestehen genau aus den Komponenten, die auch für die institutionsübergreifende Kommunikation notwendig wären. Wir müssen dieselben Schnittstellen und Protokolle nicht nur für das EPD, sondern in ähnlicher Form auch für Berichtsversand, Zuweisungen, Meldeprozesse für Gesundheitsbehörden und weitere dringend notwendige Anwendungsfälle freigeben. Der Gesetzgeber wollte verhindern, dass Dienste von Dritt anbietern auf EPD Infrastrukturen betrieben werden und die Sicherheit der EPD-Daten aufs Spiel setzen. Wir müssen es aber aus der Perspektive betrachten, dass dann B2B-Dienste die gleichen Sicherheitsanforderungen erfüllen müssen, wie das EPD und damit vom Vertrauen der Bevölkerung (vgl. eHealth Barometer 2021) profitieren.
Die Zukunft des EPD
Die Zukunft des EPD ist es also, ein Service neben vielen anderen Digital-health-Diensten zu sein. Und das ist gut so. Damit ergibt sich ein Ökosystem aus dezentralen, miteinander verbundenen Einheiten beliebiger Grösse, die miteinander Daten austauschen – egal, ob es die Daten der Patientinnen oder Berichte zwischen Leistungserbringern sind. Eine solche Roadmap der digitalen Vernetzung im Gesundheitswesen mit der Vision einer national standardisierten, verbundenen und sicheren Infrastruktur fehlt bisher leider. Wir als Vertreter der Leistungserbringer im Aargau setzen uns auf allen Ebenen dafür ein, dass wir vom EPD zum nutzenorientierten Digital-Health-Ökosystem kommen.