Frau Djelid, 2026 treten neue Tarifstrukturen in Kraft – was bedeutet das für die Schweizer Spitäler?
Dorit Djelid: Das neue ambulante Gesamt- Tarifsystem ist die umfassendste und bedeutendste Neuerung seit zwanzig Jahren im ambulanten Bereich. Es soll die Grundlage für eine zukunftsfähige, sachgerechte und nachhaltige Finanzierung der Spitäler und der Arztpraxen leisten. Diese Reform ist also enorm wichtig für das gesamte Gesundheitswesen. Die grösste Neuerung ist die Einführung der ambulanten Pauschalen. Damit werden die ambulanten Tarife erstmals auf der Grundlage realer Daten und der tatsächlichen Kosten definiert – wie wir es aus dem stationären Bereich mit SwissDRG schon kennen. Dadurch kann das Tarifsystem laufend im Sinne eines selbstlernenden Systems verbessert und aktualisiert werden. Der technologische Fortschritt fliesst in das System ein – sodass komplett veraltete Tarife, wie wir sie aus dem Tarmed kennen, nicht mehr vorkommen. Dieser Fortschritt ist für die Spitäler und Kliniken enorm wichtig.
Aber?
Fakt ist: Mit den aktuellen Tarifen können im ambulanten Bereich die effektiven Kosten nicht annähernd gedeckt werden; im Schnitt besteht eine Unterdeckung von 20 Prozent. An dieser grundlegenden Problematik ändert das neue Tarifsystem nichts. Um die Ambulantisierung und das damit verbundene Einsparpotenzial effektiv zu fördern, fordern wir deshalb endlich signifikante Tariferhöhungen im spitalambulanten Bereich. Zudem müssen die Tarife in Zukunft automatisch an die Teuerung angepasst werden. Diese ist in den letzten Jahren praktisch nicht in die Tarife eingeflossen, hat aber für enorme Mehrkosten für die Spitäler und Kliniken gesorgt, was viele Häuser in finanzielle Schieflage gebracht hat. Wenn Politik und Tarifpartner nichts an dieser grundlegenden Problematik ändern, wird sich die finanzielle Lage der Spitäler auch mit dem neuen Tarifsystem weiter verschärfen.
Ist es nicht so, dass ambulante Eingriffe im neuen System besser abgegolten werden als bisher?
Das neue ambulante Tarifsystem führt sicher dazu, dass gewisse ambulante Eingriffe besser abgegolten und vor allem laufend an den technologischen Fortschritt angepasst werden. Aber um die Ambulantisierung wirklich voranzutreiben, müssen
die ambulanten Behandlungen besser abgegolten werden. Solange die ambulanten Tarife bei Weitem nicht kostendeckend sind, gibt es für die Spitäler wirtschaftlich keinen Anreiz, mehr Eingriffe ambulant durchzuführen. Dadurch wird die Ambulantisierung gebremst. Verstärkt wird diese Problematik durch den starren Kostenwachstumsdeckel von vier Prozent pro Jahr, den der Bundesrat beschlossen hat. Dadurch wird die ambulante Unterdeckung zementiert – und die gewollte und sinnvolle Ambulantisierung ausgebremst. H+ fordert den Bundesrat mit aller Deutlichkeit auf, von diesem starren Kostenkorsett Abstand zu nehmen – damit das Potenzial zur Ambulantisierung tatsächlich ausgeschöpft werden kann. Denn in der Gesamtsicht kann die Ambulantisierung einiges zur Dämpfung des Kostenwachstums beitragen.
Wie sieht es mit der sektorenübergreifenden Zusammenarbeit aus, was wird sich dort verändern?
Die ambulanten Pauschalen setzen einen Anreiz dafür, die sektorenübergreifende Zusammenarbeit zu optimieren. Denn neu werden alle im Zusammenhang mit einer Behandlung durchgeführten Tätigkeiten inklusive der Medikamente und Materialien mit einem fixen Frankenbetrag vergütet. Effizientes (Zusammen-) Arbeiten wird also für die Leistungserbringer belohnt.
Tarifreformen bringen oft mehr Dokumentation und Kontrolle mit sich. Rechnen Sie mit einer administrativen Mehrbelastung – oder ist eine Vereinfachung in Sicht?
Die Umstellung auf das neue Tarifsystem ist für die Spitäler – und die Softwarehersteller – sicher eine enorme Herausforderung. Nach der Implementierung sollte sich der administrative Aufwand jedoch verringern, da die Zahl der Abrechnungspositionen insbesondere durch die Pauschalen deutlich abnimmt.
Wie geht es jetzt weiter?
Unsere zentrale Forderung bleibt: Die Tarife müssen die geltenden Kosten endlich decken, ansonsten haben die Spitäler und Kliniken keine wirtschaftliche Zukunft und keine Mittel für die nötigen Investitionen. Das bedeutet insbesondere eine Erhöhung der ambulanten Tarife – damit so auch die Ambulantisierung mit den richtigen Anreizen gefördert werden kann. Zudem fordern wir, dass in Zukunft die Teuerung automatisch in den Tarifen abgebildet wird, damit diese Mehrkosten
nicht vollständig zulasten der Spitäler und Kliniken gehen. In Zukunft sollte zudem der Anteil der ambulanten Pauschalen laufend erhöht werden. Denn diese sind als selbstlernendes System optimal auf eine zukunftsgerichtete und finanzierbare Gesundheitsversorgung ausgerichtet.
