Wer so lange vor einer Katastrophe warnt, die bisher aus guten Gründen nicht eingetreten ist, sollte sich kritisch über die Glaubwürdigkeit der eigenen Kommunikation Gedanken machen. Genau diese Warner – dazu gehört nicht nur Santésuisse, sondern auch die Administration Berset owie Die Mitte mit ihrer Kostenbremse-Initiative – ebnen mit ihrer Panikmache den Weg zu schlechter Regulierung, deren Schaden wir noch gar nicht richtig spüren.
Kosten
Gute Regulierung setzt eine gute Analyse voraus. Die Belastung des durchschnittlichen Haushalts durch die Prämien der Grundversicherung beträgt 6,7 Prozent. Vor 20 Jahren waren es 4,5 Prozent. Steigen Kosten und Prämien wie seit 2000 weiter, müssten wir im Jahr 2040 9,3 Prozent des Haushaltsbudgets für die Krankenversicherung aufwenden, also immer noch weniger als die 10 Prozent, welche die SP mit ihrer Prämieninitiative fordert. Und Haushalte, die zu stark unter der Prämienlast leiden, haben das Recht auf individuelle Prämienverbilligungen. Leider ist dieser soziale Ausgleich der Kopfprämien in einigen Kantonen diversen Sparprogrammen zum Opfer gefallen. Zum Glück hat das Bundesgericht den Kanton Luzern zurückgepfiffen und damit auch anderen Kantonen gesagt, dass auch hier die föderalistische Freiheit Grenzen hat. Spätestens seit der Coroanapandemie sollte jede und jeder – auch Die Mitte und der Preisüberwacher als Spiritus Rector der Kostenbrames-Initiative wissen, dass die Koppelung der Kosten und Prämien an die Löhne falsch wäre, um die Finanzierbarkeit der Prämien zu beurteilen. Selbst wenn das Bruttoinlandprodukt (BIP) prozentual weniger stark wächst als die Prämien, wächst es dennoch absolut viel stärker. Gemäss Berechnung von economiesuisse wird das BIP-Wachstum in Franken bis ins Jahr 2158 höher bleiben als das Ausgabenwachstum des gesamten Gesundheitswesens, wenn BIP und Gesundheitsausgaben weiter wachsen wie bisher.
Qualität
Laut Umfragen ist die Bevölkerung mit dem Gesundheitswesen zufrieden. Das Gute ist der Feind des Besseren. Wir sind also gut beraten, weder Panik zu schüren noch die Hände in den Schoss zu legen. Und die Akteure müssen endlich aufhören, auf die anderen zu zeigen, wenn es um Reformen geht. Jeder muss zeigen, was sein Beitrag ist. Nehmen wir die Qualität der versicherten medizinischen Leistungen. Seit 1996 verlangt das Krankenversicherungsgesetz (KVG) Qualitätsanhänge in den Tarifverträgen. Die Versicherer und Leistungserbringer haben nicht umgesetzt, was in diesen Anhängen stand. Und der Bundesrat beziehungsweise die Kantonsregierungen haben die Tarifverträge trotzdem immer wieder genehmigt. Zudem eröffnet die Digitalisierung Möglichkeiten, Qualitätsaspekte ohne zusätzliche Bürokratie transparent zu machen, damit sich Versicherte bei der Arzt- und Spitalwahl auf Fakten stützen können, denn aus den schon jetzt erhobenen Routinedaten können Qualitätsauswertungen gemacht werden. Und bei den 76,2 Prozent der Versicherten mit alternativen Versicherungsmodellen (AVM) haben Versicherer und Ärztenetzwerke viel Spielraum, Effizienz und Qualität anstatt nur Mengen zu belohnen. Und übrigens bekommt die Schweiz von der OECD immer wieder Bestnoten wie zum Beispiel beim Qualitätsindikator «vermeidbare Todesfälle». Bei den Messungen 2019 belegte die Schweiz in Europa den ersten Rang. Musterknaben wie Dänemark und Schweden lieferten keine Daten. UK hat seinen National Health Service (NHS) kaputtgespart.
Intelligentere Reformideen als Kostenbremsen
Das Beratungsunternehmen PWC hat auf der Basis des regulierten Wettbewerbs gemäss Krankenversicherungsgesetz einen Reformplan mit der Nutzenorientierung im Zentrum publiziert. Damit – so die Studienautoren – könnten Kosten gespart werden, ohne zu rationieren und ohne Abstriche an der Qualität der medizinischen Leistungen zu machen. Anstatt dem Parlament derartige Reformvorschläge zu unterbreiten, beschäftigt die Administration Berset das Parlament seit zehn Jahren mit Sparpaketen, welche bloss die Bürokratie aufblähen und die Motivation der Gesundheitsfachleute zerstören.
Wir brauchen keinen zusätzlichen Leistungserbringer, der koordinieren soll. Es reicht, den AVM-Vertragspartnern etwas mehr Spielraum zu geben, damit sich die Koordination in diesen Versicherungsmodellen im Interesse der teuren Patient:innen noch besser lohnt. Für Versicherte freiwillig wählbare Mehrjahresverträge sowie mehr Spielraum beim Teamwork der Gesundheitsfachleute, bei der Prämienkalkulation, beim Datenmanagement und beim Pflichtleistungskatalog sind die zentralen Hebel.
Herzlichen Dank an Fridolin Marty, economiesuisse, für die Resultate seiner Recherchearbeit, die er mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.