Fangen wir mit den positiven Erkenntnissen an:
Das Schweizer Gesundheitswesen hat sich bewährt, genauso wie die Zusammenarbeit der Spitäler mit Bund und Kantonen. Traditionelle Differenzen spielten plötzlich keine Rolle mehr und gemeinsam hat man sich auf den bevorstehenden Kampf gegen COVID-19 eingeschworen und entsprechend gehandelt. Antoine Hubert sagt: «Ich bin stolz auf die Arbeit des Bundesrates.» Mehr Lob geht eigentlich nicht.
Rückenwind für die Digitalisierung: Die Vorteile und Chancen von digitalen Anwendungen haben sich noch nie so deutlich gezeigt. Die Nutzung von Online-Kommunikation und Telemedizin sind nur zwei erfolgreiche Beispiele. Wollen wir hoffen, dass die digitalen Möglichkeiten häufiger angewendet werden. Machen wir doch gleich beim elektronischen Patientendossier weiter. Swisscom Health CEO Markus Sager hat dazu konkrete Vorstellungen.
Heiligsprechung von Pflege und Medizinern: Nationale Applaus-Runden für die selbstlosen Pflegenden in der Schweiz und auf der ganzen Welt haben die Bedeutung dieser Arbeit schlagartig in den Mittelpunkt gerückt. Das wird Konsequenzen haben, insbesondere dürfen die Pflegenden mit einer finanziellen Aufwertung ihrer Arbeit rechnen. Gut so. Die Pflegeinitiative geht mit vollen Segeln in die nächste Runde.
Bedeutung der Forschung: Schwer vorstellbar, dass die Initiative "Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot" eine Stimmenmehrheit finden wird. Dass mit einer Annahme der Initiative praktisch verbundene Forschungsverbot und das Verbot eines Verkaufs von allen Medikamenten, die auf Basis von Tier- oder Menschenversuchen entwickelt wurden, wird das kluge Volk nicht zulassen. Wie wichtig die Forschung ist, haben wir nie deutlicher gesehen als heute.
Wo gibt es noch Luft nach oben, was muss sich ändern? Leider eine ganze Menge:
Das BAG muss zur Generalüberholung: Über das Fax(!)chaos, eine digitale Ausstattung aus dem Mittelalter, Kommunikationswirrwarr zu Schutzmasken und die verantwortungslose Aufforderung "Kinder, umarmt eure Grosseltern!" kann man nur entsetzt den Kopf schütteln. Auch wenn man den persönlichen Einsatz und die ruhige Art von Daniel Koch in dieser Krise loben sollte, insgesamt war das Ganze unwürdig für das Schweizer Gesundheitswesen. Noch schlimmer: Wie unvorbereitet wir trotz Epidemiegesetz, Pandemieplan und Zeltner-Bericht waren, ist ein Skandal. Felix Schneuwly spricht zurecht von einem "happigen Staatsversagen". Hier brauchen wir jetzt ein effektives Management, mehr medizinisches Know-how und den Aufbau einer erstklassigen Dateninfrastruktur.
Lasst die Spitäler nicht hängen: So gut die Zusammenarbeit geklappt hat, so unwürdig ist jetzt die Diskussion über die Entschädigung der Spitäler. Einige Kantone wie beispielsweise Graubünden und Bern haben schnell reagiert und eine Lösung gefunden, aber in vielen Kantonen laufen jetzt die Spit$ler mit ihren massiven finanziellen Einbrüchen dem Geld hinterher. Das darf nicht sein.
Versorgungs-Reserven aufbauen, Lieferketten überdenken: Der Mangel an Schutzausrüstung und Medikamenten sowie die Unterbrechung von Lieferketten durch unsere europäischen Nachbarn wird Konsequenzen haben. Hier wird die Schweiz die Globalisierungsschraube wohl ein wenig zurückdrehen und ein Stück mehr Unabhängigkeit organisieren. Das wird mehr Geld kosten. Eine Produktion in der Schweiz ist nun einmal teurer als in China, aber dafür erhalten wir mehr Sicherheit und eine höhere Qualität.
Spitalstruktur-Reform, jetzt erst recht: Wollen wir hoffen, dass die berechtigte Aufwertung der Mediziner und Pflegenden nicht gleichzeitig den Status quo der Institutionen zementiert, in denen sie arbeiten. Es gibt bereits erste Stimmen von Interessensgruppen, die die Krise als Beleg dafür sehen, dass wir uns weiterhin so viele Spitäler leisten sollten. Aber auch mit der Pandemie haben die Fakten sich nicht ver.ndert: Es gibt zu viele (kleine) Spitäler in der Schweiz, die aufgrund ihrer geringeren Erfahrung häufig weniger Qualität bieten und hohe Kosten verursachen. Hier würde ich mir wünschen, dass H+ in die Offensive geht und mit den klügsten Köpfen aus den Spitälern ein Zukunftskonzept entwirft. Träumen darf man ja mal …
(Alle Beiträge und Interviews von 23 Experten des Gesundheitswesens finden Sie in der neuen Ausgabe von Heime & Spitäler. Eine Abonnement können Sie hier bestellen: https://www.heimeundspitaeler.ch/service/abonnement)