Öffentliche Ausschreibungen: Die Konsequenzen des «GZO AG» – Urteils

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Mit Urteil vom 21. Februar 2019 hat das Bundesgericht bestätigt, dass auch privatrechtlich organisierte Listenspitäler (im konkreten Fall ging es um das GZO-Spital Wetzikon) dem Beschaffungsrecht unterstehen. Das Gericht brachte damit einen Stein ins Rollen. Die Aufsichtsbehörden, allen voran die Zürcher Gesundheitsdirektion, wollen die Spitäler nun vermehrt in die Pflicht nehmen. Entsprechend herrscht eine gewisse Verunsicherung. Die nachstehenden Antworten sollen etwas Licht ins Dunkel bringen.

Was hat das Bundesgericht im Fall «GZO AG» (Spital Wetzikon) entschieden?
Das Bundesgericht befasste sich mit der Frage, ob das Spital Wetzikon dem Beschaffungsrecht untersteht. Das Spital wird von einer privatrechtlichen Aktiengesellschaft (GZO AG) getragen. Deren Aktien befinden sich im Besitz der beteiligten Gemeinden. Damit gilt das Spital gemäss Bundesgericht als Einrichtung des öffentlichen Rechts im Sinne der Interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (kurz IVöB). Als solche ist das Spital grundsätzlich dem Beschaffungsrecht unterstellt, mit Ausnahme seiner «gewerblichen» Tätigkeiten. Ob eine gewerbliche Tätigkeit vorliegt, beurteilt sich danach, ob auf dem Spitalversorgungsmarkt eine Konkurrenzsituation beziehungsweise ein «funktionierender Wettbewerb» besteht. Das Spital Wetzikon ist als Listenspital berechtigt, Leistungen zulasten der Obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) zu erbringen. Laut Bundesgericht besteht in diesem Bereich kein funktionierender Wettbewerb im Sinne des Vergaberechts, weshalb das Spital Wetzikon dem Beschaffungsrecht unterstellt ist.

Welche Spitäler sind dem Beschaffungsrecht unterstellt?
Das Bundesgericht hat sich im Fall «GZO AG» zwar nur dazu geäussert, ob das Spital Wetzikon, das vollständig von der öffentlichen Hand kontrolliert wird, dem Beschaffungsrecht untersteht. Das Urteil ist jedoch auch für gemischtwirtschaftliche Spitäler und solche, die im Privatbesitz stehen, wegweisend. Und zwar aus folgenden Gründen: Nebst Verwaltungseinheiten und sogenannten Einrichtungen des öffentlichen Rechts (z.B. die GZO AG) unterstehen dem kantonalen Beschaffungsrecht sämtliche Träger von kantonalen und kommunalen Aufgaben (mit Ausnahme ihrer gewerblichen Tätigkeiten). Listenspitäler, ob sie sich nun im Besitz der öffentlichen Hand oder im Privatbesitz befinden, verfügen über einen staatlichen (kantonalen) Leistungsauftrag im Bereich der Spitalversorgung. Sie sind folglich Träger kantonaler Aufgaben im vergaberechtlichen Sinn. Die Argumentation des Bundesgerichts, wonach im Bereich der OKP kein funktionierender Wettbewerb herrscht und daher auch keine gewerbliche Tätigkeit vorliegt, gilt gleichermassen für private Listenspitäler.

Dass nebst den öffentlichen auch rein private Listenspitäler vom Beschaffungsrecht erfasst sind, sieht auch die Zürcher Gesundheitsdirektion so. Im Nachgang zum «Wetzikoner Entscheid» des Bundesgerichts hat sie kraft ihrer Funktion als Aufsichtsinstanz sämtliche Zürcher Listenspitäler aufgefordert, ihre im Jahr 2019 getätigten Beschaffungen zu dokumentieren. Unter anderem musste für jede einzelne Beschaffung angegeben werden, welche Verfahrensart gewählt oder weshalb eine Freihandvergabe durchgeführt wurde. Die entsprechende Reporting-Tabelle ist abrufbar auf der Internetseite der Gesundheitsdirektion.

Sind nebst Listenspitälern auch Pflegeheime dem Beschaffungsrecht unterstellt?
Diese Frage wurde bislang gerichtlich nicht geklärt. Allerdings bestehen unübersehbare Parallelen zwischen Listenspitälern und Pflegeheimen, die auf einer kantonalen Pflegeheimliste aufgeführt sind beziehungsweise einen kantonalen oder kommunalen Leistungsauftrag haben. Beide Typen von Leistungserbringern sind Träger staatlicher Aufgaben und werden zu einem wesentlichen Teil öffentlich (teilweise über die OKP, teilweise über die kantonale Restfinanzierung) finanziert. Analog zur Situation bei Listenspitälern dürfte auch im Fall von Pflegeheimen mit Listenplatz beziehungsweise Leistungsauftrag kein wirksamer Wettbewerb im submissionsrechtlichen Sinn herrschen. So gesehen wären auch diese Institutionen dem Beschaffungsrecht unterstellt. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie sich die Aufsichtsbehörden und Gerichte zu dieser Frage stellen.

Welche Aufträge werden vom Beschaffungsrecht erfasst?
Vom Vergaberecht objektiv erfasst (sog. objektive Unterstellung) sind grundsätzlich alle Beschaffungen von Listenspitälern, die mit dem Leistungsauftrag zusammenhängen. Dies können Bauaufträge (z. B. Neubauten oder Umbauten), Lieferaufträge (z. B. Verbrauchsmaterial oder Investitionsgüter) oder Dienstleistungsaufträge (z. B. Reinigungs-, IT- oder Beratungsdienstleistungen) sein. In spezifischen Konstellationen kann es vorkommen, dass ein bestimmter Einkauf (oder zumindest der überwiegende Teil davon) nichts mit dem Leistungsauftrag zu tun hat und daher nicht dem Beschaffungsrecht untersteht (z. B. der Einkauf von Verbrauchsmaterial oder Lebensmitteln, die hauptsächlich für Privatpatienten bestimmt sind). In diesen Fällen kann die Beschaffung rein privatrechtlich, ohne Beachtung des Vergaberechts, erfolgen. Ob die Bedingungen für eine solche gewerbliche Beschaffung gegeben sind, ist einzelfallweise zu prüfen.

Wann muss ein Beschaffungsprojekt öffentlich ausgeschrieben werden?
Nicht alle Einkäufe, die unter das Vergaberecht fallen, müssen öffentlich ausgeschrieben werden. Voraussetzung ist vielmehr, dass gewisse Schwellenwerte überschritten werden. Diese unterscheiden sich je nach Auftragsart. Bei Lieferungen (Einkauf beweglicher Güter) und bei Dienstleistungen liegt der Schwellenwert bei CHF 250 000, bei Bauleistungen bei CHF 300 000 (Bauhauptgewerbe) und bei CHF 150 000 (Baunebengewerbe). Wichtig ist, dass das Beschaffungsrecht auch bei Aufträgen, die unterhalb dieser Schwellenwerte liegen, Anwendung findet. Im Vergleich zu öffentlichen Ausschreibungen sieht das Gesetz bei solchen «unterschwelligen» Aufträgen jedoch wesentliche Erleichterungen vor.

Welche Ausnahmen von der Ausschreibungspflicht gibt es?
Wie erwähnt gibt es (wenn auch eher selten) Beschaffungen, die vom Leistungsauftrag entkoppelt werden können und daher dem Beschaffungsrecht nicht unterstehen. Abgesehen davon gibt es nur wenige Ausnahmen, die für Spitäler oder Heime relevant wären. Wichtig zu wissen ist, dass Erwerb, Miete und Pacht von Grundstücken, Bauten und Anlagen, die Anstellung von Personal sowie Aufträge an Behinderteninstitutionen, Wohltätigkeitseinrichtungen und Strafanstalten keine submissionsrechtlich relevanten Aufträge darstellen. Nicht auszuschreiben sind sodann Aufträge an Anbieter, die vom Auftraggeber (allenfalls gemeinsam mit anderen Auftraggebern) kontrolliert werden und ihre Leistungen im Wesentlichen für den oder die Auftraggeber erbringen (sog. Quasi-In-House-Privileg). Schliesslich sieht das Gesetz eine Reihe von sogenannten Freihandtatbeständen vor, etwa wenn aufgrund technischer Besonderheiten nur ein Anbieter infrage kommt und keine angemessene wirtschaftliche und technisch-funktionale Alternative besteht. Freihändig vergeben werden können auch Aufträge, die wegen unvorhersehbarer Ereignisse so dringlich sind, dass kein Ausschreibungs- oder Einladungsverfahren durchgeführt werden kann. Die Voraussetzungen für solche «Freihänder» werden in der Gerichtspraxis jedoch nur zurückhaltend bejaht.

Müssen ausländische Anbieter zum Verfahren zugelassen werden?
Hier wird es etwas komplexer. Ausländische Anbieter (d. h. Anbieter mit Sitz im Ausland) müssen grundsätzlich im sogenannten Staatsvertragsbereich zugelassen werden. Gemeint sind all diejenigen öffentlichen Aufträge und Vergabestellen, zu deren Unterstellung unter das Vergaberecht sich die Schweiz völkerrechtlich verpflichtet hat. In diesen Staatsvertragsbereich fallen Lieferungen und Dienstleistungen mit einem Auftragswert von über CHF 350 000 und Bauleistungen mit einem Auftragswert von über CHF 8,7 Mio. Dies betrifft jedoch nur Spitäler, die entweder organisatorisch Teil der Verwaltung sind (z. B. die Zürcher Stadtspitäler Triemli und Waid) oder zwar rechtlich verselbstständigt sind, jedoch von der öffentlichen Hand kontrolliert werden (z. B. das Universitätsspital Zürich, das Berner Inselspital oder das Spital Wetzikon). Reine Privatspitäler (z. B. die Hirslanden Gruppe) werden vom Staatsvertragsbereich nicht erfasst.

Um die Sache noch komplizierter zu machen: Zukünftig müssen auch im Nichtstaatsvertragsbereich ausländische Anbieter zugelassen werden, falls deren Sitzstaat schweizerischen Anbietern Gegenrecht gewährt (Prinzip der Gegenseitigkeit). Das Staatssekretariat für Wirtschaft führt eine Liste der entsprechenden Staaten. Diese Liste sollte vorgängig zu einer Beschaffung konsultiert werden.

Wie können Spitäler bei öffentlichen Ausschreibungen kooperieren?
Gemeinschaftliche öffentliche Beschaffungen mehrerer Auftraggeber sind möglich und ein sinnvolles Mittel, um die administrativen Kosten zu senken. Verschiedene Kooperationsformen sind denkbar: So kann beispielsweise ein Spital als federführende Vergabestelle bezeichnet werden, welches das Ausschreibungsverfahren auch für weitere Spitäler durchführt. Dabei braucht es sich nicht notwendigerweise um dasjenige Spital mit dem grössten Einkaufsvolumen zu handeln. Alternativ können auch gemeinsam gehaltene (Einkaufs-)Organisationen (mit oder ohne eigene Rechtspersönlichkeit) mit der Durchführung von Submissionsverfahren betraut werden (zentrale Beschaffungsstelle). Gemeinschaftsbeschaffungen sollten vertraglich sauber geregelt werden, etwa was die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten, den Auftritt nach aussen und allfällige Gewährleistungs- und Haftungsansprüche angeht.

Wie können Spitäler trotz öffentlicher Ausschreibung grösstmögliche Flexibilität und Effizienz bewahren?
Generell gilt: Mit einer vorausschauenden, frühzeitigen Planung von Beschaffungsprojekten (Einbindung des strategischen Einkaufs) können erfahrungsgemäss Zwangslagen (Abhängigkeit von Lieferanten, Termindruck, Effizienzverluste) oftmals verhindert werden. Das Vergaberecht bietet trotz prozeduraler Vorgaben spezifische Werkzeuge, um dem Bedürfnis nach Flexibilität und Kosteneffizienz gerecht zu werden. So haben Auftraggeber etwa die Möglichkeit, mit einem oder mehreren Lieferanten mehrjährige Rahmenverträge zu fixen Konditionen (jedoch ohne fixe Mengengerüste und Abnahmeverpflichtungen) abzuschliessen. Während die Rahmenvertragspartner über ein Ausschreibungsverfahren ermittelt werden, kann im Bedarfsfall im Rahmen eines «Mini-Tenders» (ohne erneute Ausschreibung) das jeweils passende Angebot ausgewählt werden. Auch digitale Beschaffungen über Internetplattformen sind möglich und können Effizienzgewinne bringen.

Bleibt trotz Beschaffungsrecht Raum für Innovation?
Die revidierte Interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB) dürfte demnächst (d. h. im Verlauf der nächsten 1–2 Jahre) in den meisten Kantonen in Kraft treten. Sie sieht neu die Möglichkeit vor, bei komplexen und innovativen Dienstleistungen ein sogenanntes Dialogverfahren durchzuführen. Dabei erarbeiten Auftraggeberin und Anbieter in einem ersten Schritt gemeinsam geeignete Lösungswege. Auf dieser Basis werden in einem zweiten Schritt die finalen Angebote eingereicht und bewertet. Bei gänzlich neuartigen Entwicklungen und Prototypen, für die (noch) kein Markt besteht, sind ausserdem Freihandvergaben zulässig.

Mit welchen Konsequenzen ist bei Nichtbeachtung des Beschaffungsrechts zu rechnen?
Übergangene Anbieter haben ein Beschwerderecht. Sie können bei beschaffungsrechtswidrigen Vergaben die Wiederholung des Verfahrens und bei einer falschen Bewertung die Aufhebung des Zuschlags und dessen Erteilung an sich selbst verlangen. Im Spitalbereich ist die Streitlust seitens Anbieter jedoch eher gering. Vermehrt zu rechnen ist zukünftig mit aufsichtsrechtlichen Anfragen und Massnahmen seitens der Gesundheitsdirektionen und der Finanzkontrolle, die dem Beschaffungsrecht zur Durchsetzung verhelfen sollen, wie es derzeit im Kanton Zürich der Fall ist. In Extremfällen (Miss-, Vetternwirtschaft und dergleichen) drohen Strafverfahren wegen Verletzung der Korruptionsbestimmungen oder wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung. Im Vergleich zu den insgesamt moderaten rechtlichen Risiken werden Reputationsschäden im Fall negativer medialer Berichterstattung oftmals als bedrohlicher wahrgenommen.

Martin Zobl (Dr. iur., LL.M.) ist Rechtsanwalt bei Walder Wyss. Zu seinen Schwerpunkten gehören die Beratung und Vertretung von Unternehmen im Gesundheitsrecht und im Bereich Life Sciences. Er publiziert und referiert regelmässig in seinen Fachgebieten. Walder Wyss gehört zu den führenden Anwaltskanzleien der Schweiz im Bereich Gesundheitsrecht und Life Sciences. Bei Fragen steht Ihnen der Autor gerne zur Verfügung: Tel. +41 58 658 55 35, martin.zobl(at)walderwyss.com.

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Bezugsquellenverzeichnis