Sie versuchen im Berner Jura ein neues Gesundheitssystem zu etablieren. Was gefällt Ihnen nicht am aktuellen System. Sie verdienen doch gut daran?
Unser System ist nicht gesund. Das liegt daran, dass es zu viele entgegengesetzte Interessen gibt und die Akteure in Silos denken. Patientinnen und Patienten haben zwei Partner: Auf der einen Seite die Krankenversicherungen und der Staat und auf der anderen Seite die Gesundheitswelt mit beispielsweise Spitälern, Ärzten oder der Pharmaindustrie. Solange der Patient gesund ist, freuen sich Versicherer und Staat, denn er zahlt Prämien und kostet nichts. Sobald er ein gesundheitliches Problem hat, freut sich die Gesundheitswelt, denn dann kann sie Geld verdienen. Und: Sobald der Patient krank wird, insbesondere chronisch krank, wäre es für Versicherer und Staat am besten, er würde sterben, dann entstehen keine Kosten mehr, für die Gesundheitswelt ist es genau andersherum. Am meisten Geld lässt sich mit chronisch kranken Patientinnen und Patienten verdienen.
Sie wollen unserem heutigen System um ein sogenanntes integriertes System ergänzen. Was bedeutet das genau?
All die heutigen Akteure und Silos – Diagnostik, Labor, Grundversorgung, Spitäler, ambulante Chirurgie, Forschung, Ausbildung und Versicherung – sollen in einer Organisation mit gleichen Interessen und einer einheitlichen Erfolgsrechnung zusammenarbeiten. Das erzeugt weniger Kosten und bessere Qualität.
Nach Vorbild von Kaiser Permanente sind medizinische Zentren und Spitäler in einer anderen Organisation als die Ärztinnen und Ärzte.
Die Ärzte sollen nicht unter dem Einfluss der Spitäler stehen, sondern sich völlig unabhängig als Care Manager um die Gesundheit der Mitglieder des Systems kümmern.
Im Vergleich zwischen der Schweiz und KP fällt auf, dass sich dort im Verhältnis viel weniger Ärzte um die Mitglieder kümmern. Woran liegt das?
Der wichtigste Punkt ist sicherlich die Struktur. Weil alle an einem Strang ziehen, arbeitet das System effektiver. Dazu gehört auch, dass die Permanente Medical Group, die Ärzteorganisation, als Vergütung eine Pauschale pro Kopf der Mitglieder erhält. Das heisst: Je weniger Ärzte gebraucht werden, um ihre Mitglieder gesund zu halten, desto mehr verdient die Medical Group.
Ist die Pflege auch in der Medical Group integriert?
Nein, die ist bei den medizinischen Zentren und Spitälern angesiedelt. Zudem ist es so, dass Pflegerinnen und Pfleger bei KP viel mehr Aufgaben übernehmen, als es in der Schweiz der Fall ist. Darum war ich auch sehr für die Pflegeinitiative. In der Pflege weiss man häufig genauso gut oder besser, was gut ist für die Patientinnen und Patienten. Viele kleine Behandlungen in der Schweiz werden doch nur von Ärzten durchgeführt, weil sie es abrechnen können. Das muss nicht sein. Die Pflege könnte viel mehr Aufgaben übernehmen.
Den Hausärzten wird im neuen System eine andere Rolle zukommen als derzeit in der Schweiz, richtig?
Ja, ein Hausarzt bei KP hat Mitglieder, die er betreut, er kümmert sich auch um deren Vorsorge. Denn je gesünder das Mitglied bleibt, desto besser ist das nicht nur für das Mitglied selber, sondern auch für das System. Es entstehen weniger Kosten. Ein Hausarzt in der Schweiz hat Patientinnen und Patienten. Bei KP bekommt jeder Hausarzt jeweils 2500 Mitglieder zugewiesen, die er betreut.
Aber Sie haben keine Hausärzte in Ihrer Gruppe, wo finden Sie die?
Es ist sicherlich eine Herausforderung, die richtigen Hausärzte zu finden, die zukünftig wirklich als Care-Manager arbeiten wollen, in einem Netzwerk, nicht einfach nur so wie bisher. Was uns hilft, ist die hervorragende Reputation von KP.
Führen die Pro-Kopf-Pauschalen nicht dazu, dass die Medical Group zu wenig Ärzte beschäftigt, um den Gewinn auf weniger Köpfe verteilen zu können?
Das würde bedeuten, dass die Mitglieder unzufrieden werden und zu einem Mitbewerber wechseln. Zudem wird im System ja auch festgelegt, wie viele Mitglieder ein Arzt zugeteilt bekommt. Für jedes Mitglied gibt es einen sogenannten Health- Plan, der im Übrigen auch die obligatorische Grundversicherung umfasst.
Und besteht nicht das Risiko, dass teure Behandlungen unterlassen werden, gerade bei älteren Menschen, weil sie zu hohe Kosten verursachen?
Freunde und Familien spüren ganz genau, wenn sich Ärzte bei einem Familienmitglied nicht die entsprechende Mühe geben. Und das spricht sich herum. Für einen Patienten, den man nicht korrekt behandelt, besteht das Risiko, dass man 20 Mitglieder verliert. Darum ist es wichtig für KP, eine gute Reputation zu haben.
Die gesamten Einnahmen des Systems stammen aus den Beiträgen der Mitglieder. Wie teilen sich die Beiträge der Mitglieder zwischen Spitälern und Ärzten auf?
Etwa 15 Prozent der Mitgliedsgebühren erhalten die Ärzte, 85 Prozent die Spitäler.
Sie versuchen, im Arc Jurassien eine integrierte Versorgung nach dem Vorbild von KP aufzubauen. Wie weit sind Sie?
Wir wollen für eine Region mit einer Bevölkerung von etwa 250 000 Einwohnern ein integriertes Gesundheitsnetzwerk aufbauen. Neben unseren vier Spitälern in St. Imier, Moutier, Neuchâtel und La Chaux-de-Fonds haben wir eine Reihe von Gesundheitszentren. Es gibt auch ambulante und stationäre psychiatrische Einrichtungen. Wir haben verschiedene Radiologie-Zentren, dazu Pflegeheime, Notfallstationen, eine Apotheke und ein Labor.
Was fehlt Ihnen noch?
Es fehlt noch ein Universitätsspital und ein weiteres Regionalspital wie das in Biel. Auch Reha-Einrichtungen besitzen wir nicht, mit denen wollen wir kooperieren. Und uns fehlt ausserdem noch eine Spitexorganisation.
Wie soll die neue Organisation heissen?
Der Arbeitstitel für das neue System ist Réseau de l’Arc. Ob es auch der endgültige Name wird, ist noch nicht definitiv entschieden. Und alle unsere Spitäler und Zentren in der Region sollen unter diesem Namen arbeiten und Teil dieser Organisation sein. Wichtig ist auch, dass wir in unseren Spitälern und Zentren im Berner Jura auch weiterhin Patienten mit einer herkömmlichen Versicherung behandeln werden. Die beiden Systeme laufen parallel.
Zusammen mit dem Kanton Bern besitzen Sie das Hôpital du Jura bernois, wie sieht die Zielstruktur des neuen Systems aus?
Wir suchen für unser System noch einen Versicherer. Zu dritt – Kanton, SMN und Versicherer – könnte man dann die Anteile aufteilen, etwa je ein Drittel. Und unsere Hoffnung ist auch, dass der Kanton Bern eines Tages auch das Spital in Biel mit einbringt.
Wie weit sind Sie mit der Suche nach einem Versicherer?
Wir sind aktuell in Gesprächen mit einer Reihe von Versicherungsgesellschaften und hoffen, bis zum Ende des Jahres einen Partner präsentieren zu können. Es ist eine Herausforderung für etablierte Versicherungen, sich auf ein neues Modell einzulassen. Man kann es eventuell vergleichen mit den vielen etablierten Autoherstellern, die nur zögerlich auf die Elektromobilität umsteigen.
Wie viele Mitglieder brauchen Sie für das neue Netzwerk?
Wir sind nicht auf eine bestimmte Zahl angewiesen, denn die Spitäler und Zentren funktionieren ja heute schon. Es ist im Prinzip wie ein gut laufendes Restaurant, das neu seinen Kunden ein Abonnement für ein Mittagsmenü anbietet. Das Restaurant wird auch weiterhin die anderen Kunden bedienen, die kein Abo haben. Vielleicht haben wir am Anfang nur 10 000 Mitglieder, aber das wird über die Zeit wachsen.
Wie teuer wird eine solche Versicherung oder Health-Plan in Ihrem System sein?
Es wird sicherlich günstiger sein als bisherige Versicherungen. Aber es ist ja nicht möglich, mehr als 20 Prozent günstiger zu sein als die Durchschnitt spreise im Kanton. Daher gibt es hier Grenzen, es wird kein Dumping geben.
Rechnen Sie mit Wettbewerbern?
In der Region Berner Jura mit rund 250 000 Einwohnern ist nur Platz für ein integriertes System. Die Alternative ist dann die normale Versicherung. Aber in grossen Gebieten wie in Genf, Lausanne oder Zürich können verschiedene Anbieter konkurrieren.
Wie reagieren Ihre Ärzte auf das neue Modell?
Enthusiastisch kann ich sagen. Wir arbeiten ja schon seit fünf bis sechs Jahren an dem Modell und haben unsere Ärzteschaft darüber informiert. Beispielsweise haben wir Ärzte von KP in die Schweiz eingeladen, um ihre Erfahrungen zu schildern. Wir haben auch Ärztinnen und Ärzte nach Kalifornien gesendet, um vor Ort das System kennenzulernen.
Wie reagiert die Politik auf Ihre Initiative?
Im Kanton Bern sowieso, aber auch im Bundes-Bern, spüren wir grosse Unterstützung.
KP in den USA ist eine Non-Profit-Gesellschaft. Gilt das auch für Ihr Modell?
Non-Profit in den USA bedeutet, dass keine Dividenden gezahlt werden. KP macht schon einen Gewinn, aber er bleibt in der Gesellschaft und wird reinvestiert. In der Medical Group der Ärzte wird eine Dividende an die Ärzte ausbezahlt. KP ist eine Non-Profit-Organisation aufgrund ihrer Geschichte. Unser integriertes System wird eine Profit-Organisation sein.