In Spitälern, Pflegeheimen und anderen sozialen Einrichtungen sind Schaukeln, Ping-Pong-Tische und Rutschen noch undenkbar, vielleicht bald nicht mehr? Healing Architecture ist ein Konzept, das den Einfluss der gebauten Umgebung auf das Wohlbefinden, die Gesundheit und die Genesung von Menschen im Allgemeinen betont. Es bezieht sich auf architektonische und gestalterische Ansätze, die darauf abzielen, eine heilsame Umgebung zu schaffen. Eine einheitliche oder allgemeingültige Definition für Healing Architecture sucht man jedoch vergebens.
Die nüchterne Realität
Unter grossem ökonomischem Druck werden Spitäler, Pflegeheime und andere Gesundheitseinrichtungen oftmals maximal verdichtet gebaut oder umgebaut. Vielleicht werden in der Planung die Patientenbedürfnisse
noch berücksichtigt. Oft bleiben aber die Bedürfnisse der Mitarbeitenden aussen vor. Noch immer werden Patientenzimmer geplant, die so eng sind, dass nur mit dem ständigen Umplatzieren der Möbel die Patienten im Bett zur Therapie oder in den Operationssaal gefahren werden können. Ein Durchkommen mit einem Rollstuhl ist nahezu unmöglich. Aufenthaltsräume sind klein und werden an einer unattraktiven Lage geplant oder werden ganz weggelassen. Die Wände sind weiss und nackt und fühlen sich kalt und steril an, die Möbel sind ausschliesslich funktional.
Architektur beeinflusst die Gesundheit
Bereits in den Sechzigerjahren belegten verschiedene Studien, dass Architektur krankmachen kann. Im Jahr 1984 konnte Roger Ulrich, Architekturprofessor, nach zehnjähriger Forschung in seiner Studie «View through a window may influence recovery from surgery» beweisen, dass Patienten, die nach einer Operation an der Gallenblase in einem Patientenzimmer lagen, dessen Fenster nur den Blick auf eine Backsteinmauer freigab, einen erhöhten Bedarf an Schmerzmitteln hatten und sich die Aufenthaltsdauer verlängerte. Die Vergleichsgruppe bestand aus Patientinnen und Patienten, die während ihres Spitalaufenthalts eine freie Sicht ins Grüne hatten und somit schneller genesen konnten. Diese Studie war die Geburtsstunde von Healing Architecture. Zwischenzeitlich ist zudem ausreichend belegt, dass Healing Architecture nicht nur die Heilung von Kranken beispielsweise in einem Spital unterstützt. Healing Architecture verpflichtet sich, Gesunde nicht krank zu machen und schafft es, das Arbeitsumfeld positiv zu beeinflussen.
Healing Architecture in der Arbeitswelt
In der Fachwelt und bei den Beschäftigten besteht Einigkeit darüber, dass gesundheitsfördernde und -erhaltende Arbeitsräume hell und lichtdurchflutet sein müssen. Innenliegende Arbeitsplätze, frei von jeglichem Tageslicht sollen der Vergangenheit angehören.
Lärm verursacht Stress. Deswegen sind Begegnungs-, Rapport- und Austauschzonen zwingend von Ruhezonen abzutrennen. Räume müssen flexibel nutzbar sein, damit notwendige Umbauten bei einer Raumumnutzung an einem Wochenende durchgeführt werden können, denn wochenlanger zermürbender Umbaulärm belastet die Mitarbeitenden und die Patienten und Patientinnen gleichermassen. Auch Bodenbeläge sind so zu wählen, dass mobile Arbeitsgeräte geräuschlos über den Boden gleiten können. So weit so gut. Hat aber die Architektur tatsächlich einen Einfluss auf die Mitarbeitenden? Die Prioritäten bezüglich Architektur und Design, welche die Fachkräfte während der Rekrutierungsphase ins Zentrum setzen, sind nicht identisch mit den Mitarbeitenden-Bedürfnissen während der Beschäftigungszeit.
Mit Healing Architecture zu genügend Fachkräften
«Bei den Pflegenden», so ist Muriel F., Abteilungsleitung im ambulanten Gesundheitszentrum USZ Flughafen, ein Aussenstandort des Universitätsspitals Zürich (USZ), überzeugt, «hat ein moderner, heller und prozessorientierter Arbeitsplatz in einer trendigen Umgebung, wie zum Beispiel im ‹The Circle› am Flughafen Zürich ein entscheidender Wettbewerbsvorteil bei der Rekrutierung. Die Mitarbeitenden fühlen sich angesprochen durch das warme Farbdesign und die einmalige Aussicht auf die Startbahn des nahegelegenen Flughafens.» Es ist klar, dass Äusserlichkeiten in der Rekrutierungsphase eine grosse Rolle spielen, denn die Arbeitsinhalte, die Qualitäten einer Führungsperson und der Teamspirit können in dieser Phase nur bedingt beurteilt werden. Anspruchsvoller wird die Situation in älteren Gesundheitseinrichtungen. Auch hier gelingt es, mit warmen Farben an den Wänden, Ordnung in den Fluren und abgestimmten Möbeln Stress zu reduzieren und eine Umgebung zu schaffen, in der man gerne arbeiten möchte.
Healing Architecture beeinflusst die Bindung der Mitarbeitenden positiv
Um Mitarbeitende längerfristig halten und eine hohe Arbeitszufriedenheit erreichen zu können, reicht eine freundliche, trendige oder funktionale Arbeitsumgebung selbstverständlich nicht. Im Interview mit Felix Aries, Innenarchitekt und Spitalplaner, wird klar, dass den Pflegenden soziale Kontakte eminent wichtig sind. Einen hellen und grosszügigen Aufenthaltsraum, in einer stressfreien Umgebung, mit Blick ins Grüne oder optimalerweise einem direkten Zugang in einen Park, der nach Arbeitsende noch auf einen gemeinsamen Kaffee einlädt und in dem man Lust hat, noch etwas zu verweilen, beeinflusst die Arbeitszufriedenheit positiv. Architektur muss Emotionen wecken, wenn sie einen positiven Einfluss auf die Bindung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben soll, ist Muriel F. überzeugt. «Die Auswahl der Farben ist ebenso entscheidend wie Kunst, die es vermag, Mitarbeitende zu berühren oder eine Geschichte zu erzählen. Pfl anzen brechen die Sterilität des Spitalalltags auf. Am Ende muss die Architektur und das Innendesign ein harmonisches Ganzes bilden.»
Fazit
Im Zusammenhang mit dem Fachkräftemangel spielt Healing Architecture eine wichtige Rolle, da es die Arbeitsumgebung für die Fachkräfte in der Gesundheits- und Pflegebranche verbessern kann. Ein positiver und gesundheitsfördernder Arbeitsplatz vermag dazu beizutragen, Fachkräfte anzuziehen und langfristig zu binden.
Healing Architecture berücksichtigt verschiedene Aspekte, welche die Arbeitserfahrung und das Wohlbefinden von Fachkräften beeinflussen. Dazu gehören zusammengefasst:
❱ Stressreduzierung: Eine beruhigende und stressfreie Umgebung kann dazu beitragen, das Stressniveau der Fachkräfte zu senken. Dies kann durch den Einsatz natürlicher Elemente wie Tageslicht und Pflanzen oder der durchdachten Auswahl von Farben und Materialien erreicht werden. Auch freundlich gestaltete Aufenthalts-, Ruhe- und Erholungsbereiche, welche einen Blick ins Grüne gewähren oder den direkten Zugang ins Freie erlauben, tragen zur Stressbewältigung und Erhöhung der Arbeitszufriedenheit bei.
❱ Akustik: Eine gute Schallisolierung und Geräuschminimierung sind wichtig, um eine ruhige Arbeitsumgebung zu schaffen. Lärm in Gesundheitseinrichtungen wirkt sich negativ auf die Konzentration, Kommunikation und das Wohlbefinden der Fachkräfte aus. Schallschluckende Materialien, Schallschutzvorrichtungen und Raumplanung können dazu beitragen, den Lärmpegel zu reduzieren.
❱ Privatsphäre: Fachkräft e in der Gesundheits- und Pflegebranche benötigen oft private Bereiche für vertrauliche Gespräche mit Patienten oder für Ruhepausen. Healing Architecture berücksichtigt die Schaff ung einer angemessenen Privatsphäre, sei es durch individuelle Arbeitsbereiche, abgeschirmte Besprechungsräume oder Ruhezonen. Auch wenn, kurzfristig wirtschaftlich betrachtet, sich ein grosszügiger und freundlicher Aufenthaltsraum, eine professionelle Abstimmung von Farben und Materialien, Blumen und Kunst möglicherweise nicht rechnet und keinen unmittelbaren Impact auf die Erfolgsrechnung hat, ist der Return on Investment langfristig gesehen gross. Die Fluktuationsrate und die Krankheitstage sinken, die Arbeitszufriedenheit und die Rekrutierungsmöglichkeiten steigen. Um die Arbeitszufriedenheit des Gesundheitspersonals positiv zu beeinflussen, braucht es keinen Ping-Pong-Tisch und keine Schaukel, abgesehen vom Innovations-Labor, aber die Mitarbeitenden müssen sich auch bezüglich Architektur und Arbeitsplatzdesign wertgeschätzt fühlen.